Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Leitsatz (amtlich)
Zum (vergeblichen) Versuch der Arbeitgeberin, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, die die Arbeitnehmerin nach Ausspruch einer Eigenkündigung überreicht hatte.
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Arbeitsrecht ist von der Regel auszugehen, dass der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt wird. Dieser Bescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu.
2. Der Arbeitgeber kann durch die Darlegung und - im Bestreitensfalle - durch den Beweis von Indizien versuchen, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Dabei ist er bei der Benennung und bei der Wahl der Indizien frei. Allerdings reicht nicht jedes Indiz aus, den besagten Beweiswert zu erschüttern. So sind z.B. nur mehrdeutige Sachverhalte, die aber plausibel erklärbar sind, grundsätzlich ungeeignet, ernsthafte Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu begründen.
Normenkette
BGB §§ 275, 326, 611a; EFZG § 3 Abs. 1, §§ 4, 5 Abs. 1; ZPO § 292; SGB V § 275 Abs. 1a
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Entscheidung vom 18.08.2022; Aktenzeichen 1 Ca 241/22) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 18.08.2022 - 1 Ca 241/22 - wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche auf Entgeltfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Dabei vertreten die Parteien unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, ob das Verhalten der Klägerin im Zusammenhang mit einer von ihr selbst ausgesprochenen Kündigung geeignet war, den Beweiswert der von ihr vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern.
Die Klägerin war vom 01.01.2021 bis zum 28.02.2022 bei der Beklagten als Controllerin zu einem monatlichen Bruttoentgelt in Höhe von 4.350,00 Euro tätig. Der besagten Eigenkündigung, die die Klägerin mit Schreiben vom 19.01.2022 erklärt hatte, ging ein Personalgespräch zwischen der Klägerin, der Geschäftsführerin und dem COO am 18.01.2022 voraus, dessen Inhalt streitig ist. Jedenfalls ging es in dem Gespräch um den Zuschnitt der Aufgaben, die der Kläger zukünftig übertragen werden sollten. Gleichzeitig mit der Übersendung der Kündigung vom 19.01.2022 meldete sich die Klägerin krank und übermittelte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 19.01.2022 bis zum 02.02.2022.
Für den Monat Januar 2022 zahlte die Beklagte der Klägerin nur ein Bruttoentgelt in Höhe von 2.485,71 EUR. Auf eine diesbezügliche Nachfrage der Klägerin antwortete die Beklagte mit E-Mail vom 02.02.2022:
[...] Nachdem Sie am 18.01.2022 Ihre persönlichen Sachen aus Büroküche und Büro zusammengepackt, Ihr Diensthandy zurückgegeben und sich von den Mitarbeitenden verabschiedet haben, wurde die Vergütung nur bis zum letzten Arbeitstag abgerechnet und gezahlt. Selbstverständlich sind Sie bis zum Ablauf der Kündigungsfrist verpflichtet, zu arbeiten.
Mit E-Mail vom 02.02.2022 antwortete die Klägerin mit folgendem Wortlaut:
[...] Das Vorgehen von Frau B entbehrt jeder Grundlage. Es gibt keine Rechtfertigung für eine fristlose Kündigung Ihrerseits, falls Sie dies mit "ihrem letzten Arbeitstag angerechnet und bezahlt" meinten. [...] Ich habe meine Sachen mitgenommen, da zuletzt einiges von meinen Dingen verschwunden ist. Für ein paar Tage, die ich noch arbeiten würde, benötige ich diese nicht. Den Blumen ging es sowieso nicht mehr so gut und da sich niemand um sie kümmert, wenn ich nicht im Büro bin, habe ich sie lieber mitgenommen. [...] Das Diensthandy, welches ich Anfang Januar bekommen hatte, habe ich wieder abgegeben, weil es unsinnig ist, diese Nummer für ein paar Wochen bekannt zu machen. Aufgrund des Vorgehens der Firma B bin ich nun nicht in der Lage wieder arbeiten zu kommen und sehe mich sogar gezwungen, eine Zahlungsklage beim Arbeitsgericht einzureichen. [...] Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich nächste Woche wieder ins Büro komme, um weiterhin zur Verfügung zu stehen und meine Tätigkeit an jemanden zu übergeben. Aufgrund Ihres Vorgehens und meiner Reaktion darauf hat mich meine Ärztin nun erneut krankgeschrieben. [...]
Es folgte die Übersendung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit bis zum 16.02.2022. Am 17.02.2022 erschien die Klägerin im Betrieb und nahm sodann für die Zeit bis zum 23.02.2022 Erholungsurlaub. Ab dem 24.02.2022 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung bis zum 31.03.2022. Für den Monat Februar vergütete die Beklagte die besagten Urlaubstage mit 1.087,50 EUR brutto, zahlte aber im Übrigen kein Entgelt.
Mit der seit dem 11.02.2022 beim Arbeitsgericht Bonn anhängigen Klage hat die Klägerin die Zahlung der Differenz zwischen dem vertraglich vereinbarten Bruttomonatsen...