Entscheidungsstichwort (Thema)
Hoher Beweiswert einer AU-Bescheinigung. Vortäuschen einer Erkrankung als wichtiger Kündigungsgrund. Grob genesungswidriges Verhalten während Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Zur Frage der Rechtmäßigkeit einer Verdachts- oder Tatkündigung bei nachgewiesener, vorgetäuschter Krankheit: Kurze private Tätigkeiten erschüttern den Beweiswert einer AU-Bescheinigung nicht.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 1; BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 07.05.2020; Aktenzeichen 10 Ca 6255/19) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 07.05.2020 - 10 Ca 6255/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten.
Der am 1974 geborene, verheiratete und 2 Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1.7.1997 als Lagerist im Logistikcenter in K beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Im Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet.
Der Kläger war vom 29.08.2019 bis 02.09.2019 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Er hat die darüber ausgestellte Erstbescheinigung seiner Hausärztin D . L (Fachärztin für innere Medizin) der Beklagten eingereicht. Am 03.09.2019 machte der Kläger einen Arbeitsversuch, den er jedoch abbrach. Er erklärte dazu seinem Vorgesetzten, Herrn L , dass er seit längerem an einem Magen-Darm-Infekt mit Durchfall leide. Der Kläger wurde am 03.09.2019 weiter bis zum 14.09.2019 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Folgebescheinigung vom 03.09.2019 wurde der Beklagten überreicht. Als Diagnosen waren - auf der vom Kläger überreichten Bescheinigung für die Krankenversicherung vom 03.09.2019 - angegeben: AO9.9 G (Gastroenteritis) und R 53 G (Unwohlsein und Ermüdung).
Am 08.09.2019 hielt sich der Kläger während seiner Arbeitsunfähigkeit in einer Pizzeria (" F -B ) auf. Er hat dort Pizzakartons in eine Styroporbox gestellt und diese sodann in ein geparktes Auto verbracht. Zwischen den Parteien ist streitig, wie lange der Kläger dieser Tätigkeit nachgegangen ist. Der Vorgesetzte des Klägers, Herr L , der diesen Vorgang beobachtet hatte, sprach den Kläger umgehend darauf an. Der Kläger war nach diesem Vorfall noch weiter bis zum 14.09.2019 arbeitsunfähig krankgeschrieben.
Die Beklagte hörte den Kläger am 16.09.2017 zum Vorwurf der vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit an. Auf das von der Beklagten erstellte Anhörungsprotokoll (Anlage A 1, Bl. 224 -226) wird verwiesen. Unter Vorlage eines Fotos von der Pizzeria, auf dem - nach Behauptung der Beklagten - der Kläger vor dem Backofen zu erkennen sein soll (Anlage B 6, Bl. 181 d.A.), hörte die Beklagte den Kläger am 17.09.2019 nochmals an.
Mit Schreiben vom 17.09.2019 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers - als Verdachts- und Tatkündigung - an. Darin heißt es auszugweise:
"Wir werfen Herrn K vor, jedenfalls im Zeitraum 29.08.2019 bis 14.09.2019 nicht arbeitsunfähig krank für seine Tätigkeit bei uns im Logistikcenter gewesen zu sein. Weiter werfen wir Herrn K vor, eine angebliche Arbeitsunfähigkeit wahrheitswidrig angezeigt und mit gleichwohl existierenden, aber zu Unrecht erhaltenen oder erschlichenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nachgewiesen zu haben.
Hilfsweise werfen wir Herrn K jedenfalls vor, sich vorsätzlich genesungswidrig verhalten zu haben, indem er jedenfalls am Sonntag, den 08.09.2019 gegen 18.00 Uhr über einen längeren Zeitraum im Ladengeschäft " F B ",(...) einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist und in diesem Rahmen insbesondere Pizzakartons sowie andere Speisen in Alu-Behältern in Styroporwarmhaltebehältern zum Zwecke der Auslieferung an den Kunden umgelagert, diese sodann in einen Lieferwagen gebracht zu haben und Bestell- und Kassenzettel sortiert zu haben bzw. vergleichbar damit umgegangen zu sein.
Er hat dies absichtlich in Bereicherungsabsicht (Erschleichung Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) und im Wissen, dass dies nicht erlaubt ist, getan.
(...)
Höchst hilfsweise besteht jedenfalls der dringende Verdacht, dass Herr K eine nicht vorhandene Arbeitsunfähigkeit angezeigt und nachgewiesen hat und sich somit an der Entgeltfortzahlung vorsätzlich zu Unrecht bereichern wollte; hilfsweise hierzu besteht der dringende Verdacht, dass er sich vorsätzlich genesungswidrig verhalten hat.
(...)
Erschwerend zu den bereits eine außerordentliche Kündigung rechtfertigenden Gründen kommt weiterhin dazu, dass Herr K. durch die Tätigkeitsaufnahme in dem Geschäft " F -B " gegen seinearbeitsvertragliche Pflicht zur Anzeige der Nebentätigkeit Ziffer 6 des Arbeitsvertrages vom 25.06.1997 (...) verletzt hat. Gleichzeitig hat er auch gegen die für alle Beschäftigten der D AG geltende Betriebsvereinbarung "Arbeitsordnung" verstoßen, indem er seine nebenberufliche Tätigkeit nicht mitgeteilt hat (...)"
Wegen ...