Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen Vortäuschens von Arbeitsunfähigkeit. Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Leitsatz (amtlich)
Das Vortäuschen von Arbeitsunfähigkeit kann einen "wichtigen Grund an sich" im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB Kündigung darstellen, wenn der Arbeitnehmer unter Vorlage eines Attests der Arbeit fernbleibt und sich Entgeltfortzahlung gewähren lässt, obwohl es sich in Wahrheit nur um eine vorgetäuschte Krankheit handelt (Anschluss an BAG, Urteil vom 26. August 1993 - 2 AZR 154/93 -, Rn. 32, [...]).
Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Ihr kommt ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (Anschluss an BAG, Urteil vom 26. Oktober 2016 - 5 AZR 167/16 -, Rn. 17, [...]).
Im Hinblick auf das Vortäuschen einer Arbeitsunfähigkeit müssen angesichts des hohen Beweiswertes einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zumindest begründete Zweifel an der Richtigkeit dieser ärztlichen Bescheinigung aufgezeigt werden, um den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern (Anschluss an BAG, Urteil vom 19. Februar 2015 - 8 AZR 1007/13 -, Rn. 25, [...]).
Einzelfall zur Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (hier bejaht).
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 06.09.2016; Aktenzeichen 14 Ca 738/14) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 06.09.2016 - 14 Ca738/14 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Auf die Widerklage wird die Klägerin - unter Abweisung der Widerklage im Übrigen - verurteilt, an die Beklagte 4.329,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinnsatz aus 2.839,00 EUR seit dem 17.07.2014 zu zahlen.
Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Tat- und Verdachtskündigung und um Zahlungsansprüche der Beklagten.
Die am 1962 geborene Klägerin ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie war seit dem 01.12.2003 als Empfangsmitarbeiterin bei der Beklagten, die eine mittelständische Anwaltssozietät betreibt und die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, bei einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 2.800 EUR beschäftigt.
Die Klägerin beantragte am 14.11.2013 bei der hierfür zuständigen Büroleiterin der Beklagten, Frau N , für den Zeitraum vom 07.01. bis zum 10.01.2014 sowie für den 28.03.2014 die Gewährung von Erholungsurlaub, da sie beabsichtigte, am 09.01.2014 an einer Vernissage ihres damaligen Lebensgefährten und nunmehrigen Ehemanns (im Folgenden einheitlich als Ehemann bezeichnet) in D teilzunehmen. Zwischen den drei am Empfang beschäftigten Arbeitnehmerinnen kam es zu keiner Einigung über die Vertretung der Klägerin, da auch die Empfangsmitarbeiterin F für die Zeit vom 06.01. bis zum 10.01.2014 Urlaub nehmen wollte.
Nachdem die Klägerin bis zum 26.11.2013 keine Rückmeldung zu ihrem Urlaubsantrag erhalten hatte, wandte sie sich mit Schreiben vom 26.11.2013 an Frau N und forderte diese auf, den Urlaubsantrag (sowie einen weiteren bis dato unbearbeiteten Urlaubsantrag vom 04.10.2013) umgehend bis zum 06.12.2013 zu bearbeiten. Mit Schreiben vom 28.11.2013 teilte Frau N der Klägerin mit, Urlaubsanträge, die ohne bestehende Vertretungsregelung der Verwaltung vorgelegt würden, könnten nicht bearbeitet werden. Mit Schreiben vom 03.12.2013 wandte die Klägerin sich wegen der aus ihrer Sicht unbefriedigenden Regelungen zur Urlaubsgewährung an die Geschäftsführung der Beklagten. Eine Reaktion hierauf erfolgte nicht.
Am 10.12.2013 schrieb die Mitarbeiterin F der Beklagten Frau N eine E-Mail. Darin führte sie aus, dass sie der Klägerin gesagt habe, "in der Woche" (gemeint ist die Woche vom 02.01. bis zum 07.01.2014) nicht arbeiten kommen zu können. Ferner führt Frau F in der E-Mail aus: "Daraufhin sagte Sie (gemeint ist die Klägerin) mir nur, dass sie dann auf keinen Fall da ist". Mit weiterer E-Mail vom 18.12.2013 wandte die Klägerin sich erneut an die Geschäftsführung der Beklagten. Am selben Tag erhielt die Klägerin ihre Urlaubsanträge vom 04.10. und vom 14.11.2013 zurück mit dem Vermerk: "Wird mangels Vertretungsregelung nicht genehmigt". Mit Schreiben vom 27.12.2013 wandte sich die Klägerin erneut an die Geschäftsführung der Beklagten, namentlich an den Geschäftsführer Dr. L , von dem sie wusste, dass dieser sich nach Weihnachten nicht im Büro aufhalten würde, und schilderte die aus ihrer Sicht für sie völlig unpraktikabele Situatio...