Entscheidungsstichwort (Thema)
Vordienstzeit. Anrechnung. Orchester. Praktikum. unbillige Härte. unmittelbar anschließendes Arbeitsverhältnis
Leitsatz (amtlich)
1) Löst ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis mit seinem bisherigen Arbeitgeber auf und kommt er damit ganz wesentlich den Interessen des neuen Arbeitgebers an einer alsbaldigen Tätigkeitsaufnahme entgegen, so stellt die Nichtanrechnung der früheren Dienstzeiten eine unbillige Härte i. S. d. § 20 Abs. 4 TVK dar.
2) Eine Unterbrechung, die die Dauer der normalen Theater- und Konzertferien nicht überschreitet, hindert grundsätzlich nach § 20 Abs. 4 TVK eine Anrechnung von Vordienstzeiten nicht.
3) Zur Abgrenzung von Praktikum und Arbeitsverhältnis.
Normenkette
Tarifvertrag für Kulturorchester (TVK) § 20
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Urteil vom 07.12.2005; Aktenzeichen 4 Ca 2364/05) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 07.12.2005 – 4 Ca 2364/05 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Anrechnung von Vordienstzeiten der seit dem 01.03.2004 im B-Orchester der beklagten Stadt als Kontrabassistin tätigen Klägerin. Auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils wird gemäß § 69 ArbGG Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 07.12.2005 stattgegeben und festgestellt, dass die Tätigkeit der Klägerin beim Staatsorchester R P K vom 20.08.1994 bis 19.08.1995 mit 8 Monaten sowie ihre Tätigkeit bei den N S vom 01.06.1999 bis zum 31.01.2004 mit 4 Jahren und 8 Monaten zu ihrer Dienstzeit im Sinne des § 20 Abs. 1 TVK gehört. Wegen der Begründung wird auf Bl. 93 ff. d. A. Bezug genommen. Gegen dieses ihr am 06.02.2006 zugestellte Urteil hat die beklagte Stadt am 24.02.2006 Berufung eingelegt und diese am 03.04.2006 begründet.
Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, eine Anrechnung der Vordienstzeiten sei weder bezüglich der früheren Tätigkeit der Klägerin in K noch bezüglich ihrer bei der N S zurückgelegten Beschäftigungszeiten geboten. Bei der R P in K sei die Klägerin nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses tätig gewesen. Die mit „Praktikantenvertrag” überschriebene Vereinbarung zwischen der Klägerin und der R P K sei auch rechtlich als Praktikum zu qualifizieren. Dem stehe weder der Umfang der von der Klägerin dort zu leistenden Dienste noch ihre Bindung an die Dienstpläne entgegen, denn auch Praktikanten müssten sich an Dienstpläne halten, da ansonsten die Durchführung von Proben und Aufführungen unzumutbar erschwert würde. Auch die Höhe der vertraglich vereinbarten Vergütung stelle kein gegen ein Praktikum sprechendes Indiz dar, da sie deutlich unter dem Betrag gelegen habe, der für eine Beschäftigung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses gezahlt würde. Die Vergütung in Höhe von 1.510,00 DM brutto monatlich sei letztlich eine bloße Aufwandsentschädigung. Schließlich verstoße die nunmehrige Geltendmachung der im Rahmen des Praktikantenverhältnisses bei der R P K zurückgelegten Dienstzeiten gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB, da die Klägerin die Beklagte im Zeitpunkt der Vertragsanbahnung über sämtliche Umstände habe informieren müssen, die sie nunmehr für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses anführe.
Die Beklagte ist weiter der Auffassung, eine Anrechnung der von der Klägerin bei den N S zurückgelegten Beschäftigungszeiten sei gemäß § 20 Abs. 4 TVK ausgeschlossen. Die Klägerin sei aufgrund des Aufhebungsvertrages bei den N S vorzeitig ausgeschieden und habe das neue Arbeitsverhältnis bei der Beklagten weder im unmittelbaren Anschluss an das einvernehmlich beendete Arbeitsverhältnis angetreten noch führe die Nichtanrechnung der Vordienstzeit bei ihr zu einer unbilligen Härte. Der Aufhebungsvertrag sei seitens der Klägerin ohne Einflussnahme durch die Beklagte geschlossen worden und aus einem späteren etwaigen Interesse der Beklagten an einem vorzeitigen Beginn könne eine Unbilligkeit nicht hergeleitet werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 07.12.2005 – 4 Ca 2364/05 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung mit Rechtsausführungen und hält an ihrem Klagebegehren in vollem Umfang fest. Sie ist weiterhin der Auffassung, sowohl aus der vertraglichen Vereinbarung als auch aus der tatsächlichen Durchführung des Praktikantenvertrages mit der R P K ergebe sich die rechtliche Qualifizierung ihrer Tätigkeit als Arbeitsverhältnis. Auch sei sie an einer Geltendmachung der Dienstzeitanrechnung nicht nach Treu und Glauben gehindert, da sie mit der Vorlage ihres Praktikumzeugnisses lediglich einer tariflichen Verpflichtung entsprochen habe und im Übrigen selbstverständlich darauf hingewiesen habe, dass sie tatsächlich im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt worden sei. Soweit es um die Anrechnung ihrer Tätigkeit bei...