Entscheidungsstichwort (Thema)
Unschlüssige Schadensersatzklage wegen Entwendung von Bargeld aus der Bargeldkasse bei unzureichender Darlegung verdachtsbegründender Umstände
Leitsatz (amtlich)
Arbeitnehmer, die Fehlverhalten ihrer Kollegen beobachten, sind im Regelfall nicht verpflichtet, dem Arbeitgeber von diesem Fehlverhalten zu berichten. Eine Verpflichtung, dem Arbeitgeber eine schädigende Handlung eines anderen Arbeitnehmers anzuzeigen, besteht nur dann, wenn dem Arbeitnehmer entweder allgemein die Überwachung des anderen Dienstverpflichteten übertragen war oder wenn ihn wenigstens eine sogenannte aktualisierte Überwachungs- und Kontrollpflicht trifft (BAG 12. Mai 1958 - 2 AZR 539/56 - BAGE 6, 82 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Treuepflicht; BAG 18. Juni 1970 - AP Nr. 57 zu § 611 BGB Haftung des = NJW 1970, 1861 = DB 1970, 1598; ähnlich auch BGH 23. Februar 1989 - IX ZR 236/86 = AP Nr. 9 zu § 611 BGB Treuepflicht = DB 1989, 1464 bezogen auf einen selbstständigen Dienstverpflichteten).
Normenkette
BGB §§ 823, 830, 840, 241 Abs. 2, § 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Schwerin (Entscheidung vom 21.05.2015; Aktenzeichen 5 Ca 1043/14) |
Tenor
1. Die Klage wird unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils (21.05.2015 - 5 Ca 1043/14) abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreites trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Das Amt K. W. (im Folgenden als Amt oder klagendes Amt bezeichnet) beklagt einen umfänglichen Verlust von Bargeld aus den Bargeldkassen, die im Bürgerbüro am Amtssitz geführt werden. Das Amt geht davon aus, dass der Verlust darauf zurückzuführen ist, dass die drei Mitarbeiter des Amtes, die regelmäßig im Bürgerbüro eingesetzt waren, das Bargeld entwendet haben. Das Amt hat daher vorliegend diese drei Mitarbeiter - überwiegend als Gesamtschuldner - auf Schadensersatz in Höhe von rund 11.500 Euro verklagt.
Im Berufungsverfahren richtet sich die Klage nur noch gegen zwei Beklagte, da Frau Z. (ehemalige Beklagte zu 1) sich bereits vor dem Arbeitsgericht verglichen hat. Der Vergleich sieht vor, dass Frau Z. für rund ein Drittel des Gesamtschadens aufkommt und im Übrigen aus der weitergehenden Haftung entlassen wird. Im Folgenden wird daher die ehemalige Beklagte zu 2 als Beklagte zu 1 bezeichnet und der ehemalige Beklagte zu 3 nunmehr als Beklagter zu 2.
Im Bürgerbüro des Amtes können die Bürger der amtsangehörigen Gemeinden - soweit hier von Interesse - Personaldokumente beantragen (Personalausweis, Reisepass und ähnliche Dokumente - hier mit Passangelegenheiten bezeichnet) und Gewerbeangelegenheiten abwickeln (Gewerberechtliche An-, Um- und Abmeldungen). Die für die einzelnen Geschäfte anfallenden Gebühren müssen bereits bei der Antragstellung entrichtet werden. Die Gebühren wurden überwiegend in bar entrichtet, es war und ist aber auch möglich, mit Geldkarte oder Girokarte zu zahlen.
Das klagende Amt setzt im Bürgerbüro im Regelfall drei Beschäftigte ein. Alle drei Beschäftigte verfügen während der Öffnungszeiten des Bürgerbüros über eine Bargeldkasse. Einer der Beschäftigten hatte dann noch die Funktion der Kassenverwalterin, die die Bargeldeinnahmen einzusammeln und anschließend an die Hauptkasse weiterzuleiten hatte. Sofern der Zahlungseingang nicht am Arbeitsplatz selbst durch die dortigen Mitarbeiter im Kassenverwaltungsprogramm HESS gebucht wurde, hatte die Kassenverwalterin im Bürgerbüro mit dem Bargeld auch die händisch erstellten Quittungsdoppel erhalten und hat dann die Zahlungsvorgänge an ihrem Arbeitsplatz anhand der Quittungsdoppel in HESS eingegeben (die Parteien sprechen hier vom Durchbuchen).
Im Streitzeitraum (Juli 2011 bis Ende Dezember 2012) hatte die ehemalige Mitbeklagte Frau Z. die Position der Kassenverwalterin im Bürgerbüro inne. Da Frau Z. gleichzeitig Personalratsvorsitzende war und auch als Systemadministratorin Aufgaben im Rahmen der IT wahrgenommen hatte, war sie häufiger nicht im Bürgerbüro anwesend. In dieser Zeit und zu ihren sonstigen Abwesenheitszeiten wurde sie nach dem Organisationsplan zunächst durch den Beklagten zu 2 vertreten und nach dessen Ausscheiden (sein letzter Arbeitstag war der 25. April 2012) von der Beklagten zu 1.
Welche Regeln für die Führung der verschiedenen Kassen im Bürgerbüro seitens des klagenden Amtes aufgestellt waren, ist nicht vorgetragen. Fest steht nur, dass das Bargeld aus den Kassen, die jeder Beschäftigte im Bürgerbüro am Schreibtisch hatte (im Folgenden als Tischkassen bezeichnet), im Regelfall täglich zum Feierabend hin an die Hauptkasse im Bürgerbüro (im Folgenden als Bürokasse bezeichnet) übergeben wurde. Es ist allerdings unstreitig, dass das Geld zumindest gelegentlich auch zu einem späteren Zeitpunkt in die Bürokasse überführt wurde. Aus dem Vortrag der Parteien ergibt sich indirekt, dass mit dem Bargeld von den Tischkassen auch die ausgereichten händisch erstellten Quittungen an die Kassenverwalterin im Bürgerbüro weitergereicht wurden. Ob auch dann, wenn die Sachbearbeiterinnen am Tisch den Vorgang direkt in HE...