Entscheidungsstichwort (Thema)
Restlohnklage aus beendeten Arbeitsverhältnis bei unzureichenden Einwendungen des Arbeitgebers zu Verrechnung mit Vorschusszahlungen aus Negativguthaben des Arbeitszeitkontos
Leitsatz (amtlich)
1. Ein negatives Guthaben auf einem Arbeitszeitkonto kann unter Umständen einen Lohn- oder Gehaltsvorschuss des Arbeitgebers widerspiegeln (BAG 13. Dezember 2000 - 5 AZR 334/99 - AP Nr. 31 zu § 394 BGB = NZA 2002, 390 = DB 2001, 1565), der zum Ende des Arbeitsverhältnisses mit noch offenen Entgeltansprüchen des Arbeitnehmers ohne Rücksicht auf die Pfändungsfreigrenzen verrechnet werden kann. Entscheidend ist, durch welche Ereignisse die negativen Buchungen auf dem Stundenkonto ausgelöst wurden. Gehen die negativen Buchungen ausschließlich auf Freizeitwünsche des Arbeitnehmers zurück, denen der Arbeitgeber unter Fortzahlung der Vergütung entsprochen hat, liegt eine Vorschusszahlung vor (BAG 13. Dezember 2000 aaO.). Ähnliches kann im Rahmen eines verstetigten Arbeitseinkommens bei ungleichmäßig verteilter Arbeitszeit angenommen werden (BAG 26. Januar 2011 - 5 AZR 819/09 - BAGE 137, 38 = NJW 2011, 1693 = DB 2011, 1227). Beruht die negative Buchung allerdings auf einer bezahlten Arbeitsfreistellung, die von Seiten des Arbeitgebers vorgenommen wird, weil er den Arbeitnehmer momentan wegen Auftragsmangel nicht beschäftigen kann, kann eine solche Zahlung nicht als Vorschuss anerkannt werden, weil der Arbeitnehmer für diese Zeit nach § 615 BGB Anspruch auf die Vergütung auch ohne Erbringung der Arbeitsleistung hat.
2. § 615 BGB gehört zum dispositiven Recht und kann vertraglich abbedungen werden. (BAG 7. Dezember 2005 - 5 AZR 535/04 - BAGE 116, 267 = AP Nr. 4 zu § 12 TzBfG = DB 2006, 897). Der Gesetzgeber hat § 615 BGB für den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung durch § 11 Absatz 4 Satz 2 AÜG allerdings zu einem zwingenden Gesetz erhoben, von dem man nicht durch Vertrag abweichen kann (vgl. nur BAG 16. April 2014 - 5 AZR 483/12 - NZA 2014, 1262 = DB 2014, 1688; LAG Mecklenburg-Vorpommern 19. Februar 2015 - 5 Sa 138/14).
3. § 11 Absatz 4 Satz 2 AÜG ist auch auf Arbeitsverhältnisse anzuwenden, in denen der Arbeitnehmer sowohl direkt für den Arbeitgeber Leistungen erbringt als auch an andere Arbeitgeber zur Erbringung von Arbeitsleistungen ausgeliehen wird. Diese weite Auslegung der Norm folgt aus ihrem Schutzcharakter.
4. Vom Arbeitgeber formulierte schriftliche Regelungen zu den Einzelheiten der Führung des Stundenkontos sind Allgemeine Geschäftsbedingungen, die einer Kontrolle anhand der §§ 305 ff BGB Stand halten müssen (LAG Mecklenburg-Vorpommern 19. Februar 2015 - 5 Sa 138/14). Eine Regelung, nach der der Arbeitgeber bei einem "Minus auf dem Überstundenkonto" beim Ausscheiden des Arbeitnehmers eine Verrechnung mit dessen letzten Entgeltansprüchen vornehmen darf, ist nicht klar und verständlich und ist daher wegen § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB unwirksam. Auf einem Überstundenkonto kann es nur einen positiven Saldo oder einen Null-Saldo geben, ein negativer Saldo ist mit dem Begriff eines Überstundensaldos nicht vereinbar. Einen negativen Saldo kann es allenfalls in einem allgemeinen Stundenkonto geben.
Normenkette
BGB §§ 305, 307 Abs. 1, § 615; AÜG § 11 Abs. 4, 4 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 18.03.2015; Aktenzeichen 3 Ca 209/14) |
Tenor
1. Die Berufung wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um restliche Vergütung aus einem beendeten Arbeitsverhältnis.
Der Betrieb des Beklagten betätigt sich als Zulieferer der Werften an der Küste mit Metallbau und Edelstahlverarbeitung. Der Beklagte besitzt außerdem eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung. Nach Auskunft des Beklagten in der mündlichen Verhandlung betreibt er die Arbeitnehmerüberlassung ergänzend zu seinem Handwerk, um seine Arbeitnehmer in den immer wieder auftretenden Phasen fehlender Aufträge aus dem Werftenbereich nicht entlassen zu müssen.
Das im Juni 2006 begründet Arbeitsverhältnis endete zunächst durch Arbeitgeberkündigung zum Jahresende 2012. Beginnend mit dem 8. April 2013 haben die Parteien dann erneut auf Basis eines neuen Arbeitsvertrages zusammengearbeitet. Dieses zweite Arbeitsverhältnis endete durch Eigenkündigung des Klägers mit Datum vom 15. April 2014 mit Ablauf des 15. Mai 2014.
Der Kläger wurde vom Beklagten durchgehend während beider Phasen der Zusammenarbeit als Monteur bzw. Schlosser beschäftigt gegen einen Stundenlohn in Höhe von 9,50 Euro brutto und mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden. Der Kläger war während beider Arbeitsverhältnisse zeitweise auch als Leiharbeitnehmer eingesetzt. Wegen der Einzelheiten des Einsatzes im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung wird auf das Parallelverfahren der Parteien zum Aktenzeichen 2 Sa 105/15 Bezug genommen, in dem der Kläger zur Untermauerung seines Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt nach §§ 9, 10 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) seine Einsätze als verliehener ...