Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohnansprüche eines Leiharbeitnehmer bei Kenntniserlangung der Verleiherin von der Beendigung der Einsatzmöglichkeit durch Dritte und ungültiger Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos
Leitsatz (amtlich)
1. Ist zwischen dem Leiharbeitnehmer und seinem Arbeitgeber generell vereinbart, dass der Leiharbeitnehmer dem Arbeitgeber die Beendigung der Einsatzmöglichkeit beim Entleiher anzeigt und dass der Arbeitnehmer zu Hause auf die Erteilung eines neuen Auftrages wartet, liegt auch dann kein unentschuldigtes Fehlen des Arbeitnehmers sondern Annahmeverzug des Arbeitgebers vor, wenn sich der Arbeitnehmer zwar nicht persönlich zurückmeldet, der Arbeitgeber aber von anderen Arbeitnehmern und dem Entleiher über die Beendigung der Baustelle informiert wurde.
2. Sind eine Vielzahl von Klauseln einer vom Arbeitgeber gestellten Vereinbarung über die Führung eines Arbeitszeitkontos als allgemeine Geschäftsbedingungen unwirksam, so ist es möglich, dass die gesamte Vereinbarung zur Führung eines Arbeitszeitkontos unwirksam ist, wenn die verbleibenden Klauseln keine hinreichende Handhabe zur Führung eines Arbeitszeitkontos mehr darstellen. In einem solchen Fall ist kein Arbeitszeitkonto vereinbart und anfallende Überstunden sind auszuzahlen.
3. Die Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos für einen Leiharbeitnehmer darf nicht dazu führen, dass das unternehmerische Risiko der fehlenden Einsatzmöglichkeit auf den Arbeitnehmer abgewälzt wird. § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG verbietet Regelungen, wonach das Arbeitszeitkonto im Falle fehlender Beschäftigungsmöglichkeit einseitig durch den Arbeitgeber belastet werden kann.
Normenkette
BGB § 615; AÜG § 11 Abs. 4 S. 2; BGB § 307 Abs. 1 S. 2, § 611 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Stralsund (Entscheidung vom 29.04.2014; Aktenzeichen 1 Ca 524/12) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 29.04.2014, Aktenzeichen 1 Ca 524/12, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung restlicher Arbeitsvergütung, die Zahlung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie die Zahlung von Urlaubsabgeltung.
Die Beklagte ist im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung tätig.
Der Kläger war vom 01.01.2009 bis zum 30.09.2012 als Schweißer/Schlosser beschäftigt.
Der Arbeitsvertrag der Parteien, wegen dessen Wortlauts und Inhalts auf Blatt 36 bis 41 der Akte verwiesen wird, lautet auszugsweise wie folgt:
"...
§ 3
Arbeitszeit
(1) Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 40 Stunden pro Woche.
Montag bis Freitag als Berechnungsgrundlage.
...
§ 5
Vergütung
(1) Der Arbeitnehmer erhält für seine vertragliche Tätigkeit einen Stundenlohn in Höhe von Euro 9,20 brutto. Weiterhin wird für jede geleistete Montagearbeitsstunde Euro 0,60 brutto gezahlt.
Die Zahlung erfolgt bargeldlos zum 10. des Folgemonats durch Überweisung auf ein vom Arbeitnehmer zu benennendes Konto.
...
§ 8
Urlaub
(1) Der Arbeitnehmer erhält kalenderjährlich einen Erholungsurlaub von 25 Werktagen.
...
§ 13
Ausschlussklausel
Eventuelle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen binnen einer Frist von einem Monat ab Fälligkeit schriftlich oder erforderlichenfalls binnen einer Frist von einem weiteren Monat gerichtlich geltend gemacht werden. Andernfalls sind sie verwirkt."
Soweit im Arbeitsvertrag von 25 "Werktagen" die Rede ist, ist zwischen den Parteien unstreitig und wurde auch so gehandhabt, dass der Kläger 25 Urlaubstage bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche pro Kalenderjahr erhielt.
Die Parteien unterzeichneten am 01.01.2009 auch eine gesonderte, von der Beklagten gestellte Zusatzvereinbarung zur Regelung eines Arbeitszeitkontos. Wegen dessen Inhalts wird auf Blatt 42 der Akte verwiesen. Unter anderem enthält die Vereinbarung folgende Regelungen:
"...
6. Sollte der Überstundensaldo im Minus sein, weil mehr Freizeitausgleich gewährt wurde als überhaupt gegeben war, kann dieser mit folgenden Überstunden in den Folgemonaten ausgeglichen werden oder als unbezahlt frei abgerechnet werden.
7. Bei der Kündigung durch den Arbeitnehmer und einem bestehenden Minus auf dem Überstundenkonto ist dies als gewährter Lohnvorschuss anzusehen und durch Verrechnung mit dem abschließenden Lohn auszugleichen.
..."
Das Arbeitsverhältnis endete durch arbeitgeberseitige Kündigung, welche hier nicht streitig ist.
Die Beklagte setzte den Kläger im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung auf auswärtigen Baustellen ihrer Vertragspartner (Entleiher) ein. Zwischen den Einsätzen war es üblich, dass der Kläger zu Hause auf die Bestimmung des nächsten Einsatzes wartete und dort von der Beklagten kontaktiert wurde. Der Kläger musste sich somit nicht im Büro der Beklagten zur Erteilung eines neuen Auftrages einfinden. Die Beklagte hat unstreitig vorgetragen, dass sie typischerweise nur den genauen zeitlichen Beginn eines Auftrages der Überlassung von Arbeitnehmer an einen Entleiher kennt. Das Ende einer Arbeitnehmerüberlassung ist ihr zunächst unbekannt. Deshalb erwartet die Beklagte von ihren A...