Entscheidungsstichwort (Thema)

Eindeutige Erklärungspflicht des Arbeitgebers zur Anrechnung von Urlaub auf Freistellung. Gleiche Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers bei Gewährung vertraglichen Mehrurlaubs wie bei gesetzlichem Mindesturlaub. Möglichkeit des Arbeitnehmers zur Urlaubsnahme vor Verfallen der Urlaubstage. Echter beidseitiger Vergleichswille bei § 779 BGB

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Urlaubsgewährung bedarf einer Erklärung des Arbeitgebers, aus welcher der Arbeitnehmer entnehmen kann, dass er unter Anrechnung auf seine Urlaubsansprüche von seiner Arbeitspflicht befreit wird, um Urlaubsansprüche zu realisieren.

2. Die Erfüllung eines Urlaubsanspruchs setzt - neben der Zahlung von Urlaubsvergütung vor Urlaubsantritt oder deren vorbehaltlose Zusage - die Freistellung von einer sonst bestehenden Arbeitspflicht voraus.

3. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub erlischt nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraumes, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.

4. Ein Vergleich i.S. des § 779 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn ein Vertrag geschlossen wird, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Notwendig ist die von zwei oder mehreren Personen erklärte Willensübereinstimmung über die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges.

5. § 6 BurlG bewirkt nicht, dass ein Urlaubsanspruch aus einem in der 2. Jahreshälfte beendetem Arbeitsverhältnis um Urlaubstage gekürzt werden kann, die im neuen Arbeitsverhältnis als Urlaubsanspruch entstehen.

 

Normenkette

BUrlG § 7 Abs. 4, 3, 1, § 6 Abs. 1; BGB § 779; ArbGG § 72 Abs. 2; BGB § 145

 

Verfahrensgang

ArbG Schwerin (Entscheidung vom 17.09.2020; Aktenzeichen 2 Ca 1476/19)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Schwerin vom 17.09.2020 zum Az.: 2 Ca 1476/19 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Urlaubsabgeltung.

Die Klägerin war bei der Beklagten, welche einen T. T. Store betreibt, aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages (Anlage K1, Bl. 8 ff. d. A.) ab November 2010 zuletzt als Filialleiterin zu einer monatlichen Bruttovergütung von 2.100,00 € beschäftigt. Gemäß § 5 des Arbeitsvertrages war pro Jahr ein Urlaubsanspruch von 28 Arbeitstagen vereinbart.

Die Klägerin hat im Jahr 2019 Urlaub wie folgt genommen und gewährt erhalten:

Zeitraum

Tage

15.-16.02.19

2

01.-02.03.19

2

18.-30.03.19

9

17.-22.06.19

5

29.07.-10.08.19

10

Am 19.03.2019 hat die Klägerin ihren Urlaub unterbrochen und hat zur Kompensation eines krankheitsbedingten Ausfalls Arbeitsleistungen erbracht.

Mit Schreiben vom 09.07.2019 hat die Klägerin das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.08.2019 gekündigt. Die Beklagte hat eine Kopie dieses Kündigungsschreibens als Anlage B1 (Bl. 83 d. A.) zur Akte gereicht.

Unter dem 12.08.2019 hat die Klägerin eine E-Mail an den Geschäftsführer der Beklagten mit folgendem Inhalt gesandt:

"Da ich noch keine Antwort auf meine Mail vom 29.07.2019 zwecks meines Urlaubsanspruches von Dir erhalten habe, bitte ich Dich noch einmal den mir zustehenden Urlaub zu prüfen und mir dieses zukommen zu lassen."

Die Klägerin hat sich ausgehend von für die Jahre 2018 und 2019 noch zustehenden 48 Urlaubstagen und im Jahr 2019 erhaltener 28 Urlaubstage noch einen Resturlaubsanspruch von 20 Tagen mit einem Abgeltungsbetrag in Höhe von 1.938,46 € brutto errechnet und diesen Zahlungsanspruch nach erfolgloser anwaltlicher Geltendmachung durch Schreiben vom 01.10.2019 mit der am 04.11.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gegenüber der Beklagten erhoben. Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, der Resturlaubsanspruch von 20 Tagen ergebe sich aus dem von der Beklagten für sie geführten Urlaubskonto (Anlage K3, Bl. 11 d. A.). Die Lebensgefährtin des Geschäftsführers der Beklagten habe für sie einen Urlaubsplan geführt.

Die Klägerin hat behauptet, am 09.07.2019 habe sie dem Geschäftsführer der Beklagten das Kündigungsschreiben vom selben Tage in der Filiale übergeben wollen. Der Geschäftsführer habe sich geweigert, den Erhalt des Kündigungsschreibens unter die von ihr handschriftlich auf dem Kündigungsschreiben niedergelegten Worte "erhalten am:" zu bestätigen. Sie habe das Kündigungsschreiben deshalb wieder an sich genommen und es am Folgetag per Post an die Beklagte versandt. Das Kündigungsschreiben sei nicht am 17.07.2019 durch sie persönlich an den Geschäftsführer der Beklagten übergeben worden.

Die Klägerin hat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.938,46 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2019 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat einen Urlaubsabgeltungsanspruch mit der Begründung geleugnet, die Klägerin habe ihren Urlaubsan...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Personal Office Platin enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge