Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Verfall bei gesetzlichen Urlaubsansprüchen. Unwirksamer Verzicht von Urlaub. Aufklärungspflicht des Arbeitgebers bei Verfall von Urlaub. Keine geltungserhaltende Reduktion unwirksamer Urlaubsverzichtsregelung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers ist nicht nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen, soweit es den gesetzlichen Mindesturlaub betrifft. Denn der Arbeitgeber ist seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen.

2. Der im Aufhebungsvertrag geregelte Verzicht auf noch bestehende Urlaubstage ist nach 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG unwirksam, soweit es den gesetzlichen Mindesturlaub betrifft.

3. Die unwirksamen Regelungen zum Urlaubsverzicht können aufgrund des Transparenzgebots nicht geltungserhaltend reduziert werden.

4. Anforderungen an das "Aushandeln" von Vertragsbedingungen zwischen den Vertragsparteien im Sinne des § 305 BGB.

 

Normenkette

BGB § 305 Abs. 1 S. 1 und S. 3, § 306 Abs. 1, § 307 Abs. 1 S. 2, § 362 Abs. 1; BUrlG §§ 1, 13 Abs. 1 S. 3, § 3 Abs. 1, § 7 Abs. 1, 3-4; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Koblenz (Entscheidung vom 21.01.2020; Aktenzeichen 6 Ca 3280/19)

 

Tenor

  • I.

    Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21.01.2020 - 6 Ca 3280/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

  • II.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über einen Anspruch des Klägers auf Abgeltung von Urlaubsansprüchen.

Der Kläger war bei der Beklagten zunächst in den Jahren 2011 bis 2014 als Geschäftsführer tätig und seit dem 1. Oktober 2015 als Leiter Projektentwicklung auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 6. Oktober 2015 (Bl. 11-15 d. A.) beschäftigt. In § 9 des Arbeitsvertrags der Parteien ist ein kalenderjährlicher Erholungsurlaub von 28 Arbeitstagen vereinbart.

Unter dem 17. Juni 2019 schlossen die Parteien zur Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2019 einen Aufhebungsvertrag (Bl. 70, 71 d. A.), der auszugsweise wie folgt lautet:

"§ 1 Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Das zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis wird in gegenseitigem Einvernehmen zum 31. Dezember 2019 beendet.

§ 2 Vergütungsfortzahlung

Der Arbeitgeber verpflichtet sich, bis zum 31. Dezember 2019 die regelmäßige monatliche Vergütung in Höhe von EUR 9.000,00 brutto sowie den Arbeitgeber-Anteil zu den monatlichen Vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von EUR 40,00, die monatlichen Beiträge zur Direktversicherung in Höhe von EUR 146,00 weiterzuzahlen und ordnungsgemäß abzurechnen.

Mit der monatlichen Entgeltfortzahlung ist ein etwaiger Urlaubsanspruch zum 31.12.2019 abgegolten.

(...)

§ 5 Ausgleich aller Ansprüche

Der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sind sich darüber einig, dass mit der Erfüllung der vorstehenden Vereinbarung keine wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis mehr gegeneinander bestehen. Diese sind vielmehr durch diese Aufhebungsvereinbarung abschließend geregelt und erledigt.

§ 6 Anfechtungs- und Widerrufsrechte

Der Arbeitnehmer erklärt, diese Vereinbarung sorgfältig gelesen zu haben und ohne zeitlichen Druck unterschrieben zu haben. Er verzichtet auf alle Anfechtungs- und Widerrufsrechte."

Am 27. September 2019 um 10:06 Uhr teilte der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger per E-Mail (Bl. 29 d. A.) Folgendes mit:

"Guten Morgen ,

vielen Dank für die Darstellung Deiner Sicht.

Es hat mich darin bestätigt, dass Du für Dich und für uns noch den Erfolg suchst, aber von uns wegen fehlender Unterstützung bzw. fehlenden Arbeitsmitteln daran gehindert bist.

Daran soll es aber nicht scheitern.

Ich denke es ist in unser beider Sinn, dass Du Dich hier mit Erfolg und erhobenen Hauptes verabschieden kannst.

Ich lass Dir jetzt hier einen Arbeitsplatz einrichten.

Du erhälst ebenfalls eine Liste an "to-do"s, die sofort in die Abarbeitung gehen können.

Da werden wir gemeinsam die Sache angehen.

Ich freue mich darauf.

Bitte sei ab 07.10.2019 8.30 bei uns im Büro.

Wir möchten, dass Du ab diesem Tag bis zum Ausscheiden in unserem Büro in C-Stadt arbeitest."

Darauf erwiderte der Kläger per E-Mail (Bl. 28, 29 d. A.) um 12:23 Uhr wie folgt:

"Lieber N.,

vielen Dank für das nette Angebot, was ich wirklich gerne annehmen würde.

Aber leider werde ich eine Arbeit in C-Stadt ablehnen müssen, da mir seit Anfang 2018 von der S. Geschäftsführung Homeoffice angewiesen wurde, und ich dementsprechend mein privates und geschäftliches Leben darauf ausgerichtet habe. Und mal ganz ehrlich: Wie motivierend wäre das für mich? Was würde im Endeffekt dabei rumkommen? Wir beide wissen, warum du das machst.

N., ich möchte echt keinen Streit mit Dir. Wenn es für uns eine Zukunft gibt, lass uns das doch bitte konstruktiv gestalten. Ich will auch weder Geld oder Vorschüsse, sondern Ideen und Empfehlungen, um das auf die richtige Schiene zu setzen. Das letzte Jahrzehnt war für mich echt super, und ich durfte viel lernen.

Das Anstellungskonzept passt aber nicht mehr zu meinem Lebensweg und meines Erachtens können wir ...

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