Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die "offensichtliche Unzuständigkeit" der Einigungsstelle i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG. Keine "offensichtliche Unzuständigkeit" der Einigungsstelle bei Streit um das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Einführung der elektronischen Zeiterfassung
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Einigungsstelle ist für ein erzwingbares Einigungsstellenverfahren offensichtlich unzuständig, wenn offensichtlich das vom Antragsteller in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht nicht gegeben ist. Diese Voraussetzung liegt vor, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten in Frage kommt.
2. Eine offensichtliche Unzuständigkeit liegt nicht vor, wenn das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts umstritten ist und eine höchstrichterliche Entscheidung noch aussteht. Zur Frage des Mitbestimmungsrechts bei Einführung der elektronischen Zeiterfassung liegen unterschiedliche Urteile verschiedener Instanzen vor. Somit kann vom Gericht nicht sofort erkennbar sein, dass kein mitbestimmungspflichtiger Tatbestand vorliegt. Die Einigungsstelle ist dann nicht offensichtlich unzuständig.
Normenkette
GRCh Art. 31 Abs. 2; BetrVG § 76 Abs. 1, § 87 Abs. 1 Nrn. 2-3, 6-7; ArbGG § 100 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 29.03.2021; Aktenzeichen 37 BV 39/21) |
Tenor
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) - 9) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 29.03.2021 - 37 BV 39/21 - wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle.
Der Antragsteller ist der Betriebsrat für den gemeinsamen Betrieb der Beteiligten zu 2) - 9), die zu einem Medienkonzern gehören und gemeinsam ca. 1.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen.
Es besteht eine Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit mit elektronischer Zeiterfassung vom 18.07.1997, die nur für die in der Anlage 9 aufgeführten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gilt (im Folgenden: BV Arbeitszeiterfassung 1997). Für alle anderen Bereiche, insbesondere die Beschäftigten der Redaktionen sowie die außertariflich beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, gibt es keine Arbeitszeiterfassung.
Nachdem die Arbeitgeberinnen gegenüber dem antragstellenden Betriebsrat erklärt haben, sich nicht verpflichtet zu sehen, eine Arbeitszeiterfassung für die nicht unter den Geltungsbereich der BV Arbeitszeit fallenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzuführen, hat der Betriebsrat das hiesige Beschlussverfahren eingeleitet. Die Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig, sondern gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 7 BetrVG zuständig.
Aus Art. 31 Abs. 2 GRCh folge eine unmittelbare arbeitgeberseitige Pflicht zur Einführung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung.
Der Betriebsrat hat erstinstanzlich beantragt:
1. Als Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand, "Einführung einer Arbeitszeiterfassung für alle Beschäftigten des Vertretungsbereichs des Beteiligten zu 1), die nicht unter den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit mit elektronischer Zeiterfassung vom 18.07.1997 fallen", wird Herr Z., bestellt.
2. Die Anzahl der Beisitzer, die vom Arbeitgeber und Betriebsrat bestellt werden, wird auf vier festgesetzt.
Für den Fall des Unterliegens:
3. Als Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand, "Einführung einer technischen Arbeitszeiterfassung für alle Beschäftigten des Vertretungsbereiches des Beteiligten zu 1), die nicht unter den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung über gleitenden Arbeitszeit mit elektronischer Zeiterfassung vom 18.07.1997 fallen", wird Herr Z bestellt.
Der Beteiligtenvertreter zu 2) - 9) hat erstinstanzlich beantragt,
die Anträge abzuweisen,
und die Auffassung vertreten, für den beantragten Regelungsgegenstand sei die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig. § 87 Abs. 1 BetrVG vermittle dem Betriebsrat kein primäres Initiativrecht zur Einführung einer (flächendeckenden) Arbeitszeiterfassung.
Das Arbeitsgericht München hat durch Beschluss vom 29.03.2021 - 37 BV 39/21 - als Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Einführung einer Arbeitszeiterfassung für alle Beschäftigten des Vertretungsbereichs des Beteiligten zu 1), die nicht unter den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit mit elektronischer Zeiterfassung vom 18.07.1997" fallen, Herrn X bestellt und die Anzahl der Beisitzer auf drei pro Seite festgesetzt. Im Übrigen hat es den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Da eine Einigung zwischen dem Betriebsrat und der Arbeitgeberseite nicht zustande gekommen sei, sei die Einigungsstelle gemäß § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG i.V.m. § 76 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BetrVG einzusetzen. Die Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig, weil gemäß § 87 Abs. 1 Ziff. 7 BetrVG der Betrie...