Entscheidungsstichwort (Thema)

Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung einer technischen Arbeitszeiterfassung. Einrichtung einer Einigungsstelle aufgrund unklarer Rechtsprechung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Rechtsfrage, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung einer technischen Arbeitszeiterfassung zusteht, ist derzeit in Rechtsprechung und Literatur umstritten, eine aktuelle Klärung durch das Bundesarbeitsgericht steht noch aus. Die inzwischen mehr als 30 Jahre alte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.11.1989 (1 ABR 97/88) ist nicht geeignet, eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Fragestellung zu begründen. Dementsprechend ist eine Einigungsstelle zur Regelung der Einführung einer technischen Arbeitszeiterfassung derzeit nicht offensichtlich unzuständig und mithin nach § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG einzusetzen.

 

Normenkette

BetrVG §§ 76, 87 Abs. 1 Nr. 6, § 7; ArbGG § 100; BetrVG § 74 Abs. 1 S. 2, § 87 Abs. 1 Nrn. 2, 7

 

Verfahrensgang

ArbG Essen (Entscheidung vom 02.07.2021; Aktenzeichen 1 BV 27/21)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Essen vom 02.07.2021 - Az.: 1 BV 27/21 - teilweise abgeändert und - unter Zurückweisung der Anträge im Übrigen - zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung" Herr Richter am Bundesarbeitsgericht a.D., Horst-Dieter Krasshöfer, bestellt sowie die Anzahl der Beisitzer dieser Einigungsstelle auf zwei Personen je Seite festgesetzt.

  • II.

    Im Übrigen werden die Beschwerde des Antragstellers und der Beteiligten zu 2 zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle zum Thema "Gleitende Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung", hilfsweise zum Thema der Arbeitszeiterfassung bei Arbeitnehmern in mobiler Arbeit, sowie über die Anzahl der Beisitzer.

Die Beteiligte zu 2 ist ein neben klassischen Bauleistungen auf industriellen Anlagenbau spezialisiertes Bauunternehmen und unterhält in B. einen Betrieb mit ca. 138 Arbeitnehmern. Der Antragsteller und Beteiligte zu 1 ist der dort gebildete Betriebsrat.

Im B.er Betrieb findet eine ungekündigte "Betriebsvereinbarung über die gleitende Arbeitszeit" vom 06.03.2018 Anwendung. Diese gilt nach § 2 ("Geltungsbereich") für alle Arbeitnehmer, soweit sie die Tätigkeiten an einem Arbeitsplatz im Gebäude der Hauptverwaltung oder in dem benachbarten Gebäude am Sitz der Beteiligten zu 2 ausüben. Weiter wird unter § 2 geregelt, dass an der Gleitzeit Mitarbeiter nicht teilnehmen, solange und soweit sie auf Baustellen / sonstigen Betriebsstellen tätig werden; für diese Tätigkeiten sollen die Arbeitnehmer festen Arbeitszeiten unterliegen, die sich nach den Erfordernissen auf den Baustellen / sonstigen Betriebsstellen richten und von den dortigen Vorgesetzten festgelegt werden. Unter § 4 der Betriebsvereinbarung ("Vertrauensarbeitszeit") wird zudem festgelegt, dass eine zentrale Zeiterfassung und Kontrolle nicht erfolgt, sondern an der seit dem Jahr 2000 gehandhabten Vertrauensarbeitszeit festgehalten wird. Wegen des weiteren Inhalts der Betriebsvereinbarung wird auf die Anlage B1 (Blatt 95 ff. der Akte) Bezug genommen.

Da die Arbeitgeberin ein elektronisches Zeiterfassungssystem einführen wollte, verhandelten die Betriebsparteien seit Mai 2020 über den Abschluss einer neuen Betriebsvereinbarung zum Thema gleitende Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung. Mit E-Mail vom 04.06.2020 (Blatt 53.L der Akte) wurden dem Antragsteller durch die Beteiligte zu 2 Informationen über die arbeitgeberseitig "gewünschte Einführung eines Arbeitszeiterfassungssystems" übermittelt und Gesprächsbereitschaft zur Klärung von Fragen des Betriebsrats bekundet. Nachfolgend fanden gemeinsame Besprechungen der Parteien zumindest am 15. und 29.03.2021 statt. Es lag zuletzt ein Entwurf des Antragstellers zu einer neuen Betriebsvereinbarung mit Stand vom 19.05.2021 vor. Eine Einigung zwischen den Betriebsparteien kam jedoch nicht zustande.

Die Beteiligte zu 2 hat zwischenzeitlich von dem Vorhaben der Einführung eines technischen Arbeitszeiterfassungssystems ihrerseits Abstand genommen und reagierte zuletzt nicht mehr auf Anfragen des Betriebsrats, so dass dieser die Verhandlungen für gescheitert erklärte und beschloss, die Einigungsstelle anzurufen.

Mit am 15.06.2021 bei dem Arbeitsgericht Essen eingegangener und der Beteiligten zu 2 am 21.06.2021 zugestellter Antragsschrift hat der Antragsteller die gerichtliche Einsetzung einer Einigungsstelle beantragt. Er hat die Ansicht vertreten, diese sei jedenfalls nicht offensichtlich unzuständig. Zwar gebe es eine ungekündigte Betriebsvereinbarung zu dem Thema, aber diese regele nicht sämtliche Themen, insbesondere nicht zur mobilen Arbeit. Außerdem verstießen Teile der Betriebsvereinbarung gegen die Vorgaben des EuGH und des ArbZG, so dass insoweit auch Regelungsbedarf bestünde. Da die Arbeitgeberin ihr Initiativrecht zur Einführung eines ...

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