Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausspruch von Kündigungen aus Anlass einer Betriebsänderung vor Abschluss der Verhandlungen. Unterlassungsanspruch. Interessenausgleich. Betriebsänderung
Leitsatz (amtlich)
Kein Anspruch des Betriebrates auf Unterlassung von Kündigungen bis zum Abschluss der Verhandlung über einen Interessenausgleich.
Leitsatz (redaktionell)
Dem Betriebsrat steht gegen den Arbeitgeber kein Anspruch auf Unterlassung des Ausspruches von Kündigungen vor Abschluss der Verhandlungen über einen Interessenausgleich aus Anlass einer Betriebsänderung zu.
Normenkette
BetrVG §§ 111, 113
Verfahrensgang
ArbG Regensburg (Beschluss vom 24.06.2005; Aktenzeichen 3 BVGa 5/05 S) |
Tenor
I. Die Beschwerde des Betriebsrats wird zurückgewiesen.
II. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin hin wird derBeschluss desArbeitsgerichts Regensburg vom24.06.2005 – 3 BVGa 5/05 – abgeändert.
Die Anträge des Betriebsrats werden abgewiesen.
Tatbestand
I.
Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist begründet.
Der Betriebsrat hat keinen (Verfügungs-)Anspruch gegen die Arbeitgeberin auf Unterlassung der Kündigung konkret bezeichneter Arbeitnehmer bis zum Abschluss der Verhandlungen über einen Interessenausgleich.
Die Kammer folgt insoweit der Rechtsprechung des Beschwerdegerichts (2 TaBV 19/03 vom 03.04.2003) sowie der Beschwerdekammer (5 TaBV 48/03 vom 24.09.2003).
1. Es ist seit jeher streitig, ob dem Betriebsrat ein Anspruch auf Unterlassung betriebsbedingter Kündigungen zusteht, die zur Durchführung einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG ausgesprochen werden sollen (vgl. die Nachweise bei ErfK/Kania 5. Aufl. § 111 BetrVG Rn. 24). Ein solcher Anspruch besteht nach Auffassung der Beschwerdekammer nicht, da für den vom Betriebsrat geltend gemachten Anspruch auf Unterlassung von Kündigungen eine Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich ist. Das Betriebsverfassungsgesetz begründet keinen solchen Unterlassungsanspruch. Das Betriebsverfassungsgesetz kann auch nicht im Sinne eines solchen Anspruchs ausgelegt werden.
2. Das Bundesarbeitsgericht hat zwar im Wege der Auslegung des § 87 BetrVG einen Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung gem. § 87 BetrVG mitbestimmungswidriger Maßnahmen anerkannt (vgl. BAG vom 03.05.1994 = AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972). Aus der Begründung dieses vorgenannten allgemeinen Unterlassungsanspruchs ergibt sich aber zugleich, dass der streitgegenständliche Anspruch auf Unterlassung betriebsbedingter Kündigungen nicht anerkannt werden kann. Das Bundesarbeitsgericht hat zur Begründung des Anspruchs auf Unterlassung gem. § 87 BetrVG mitbestimmungswidriger Maßnahmen angeführt, dass Maßnahmen, die gemäß § 87 BetrVG der so genannten erzwingbaren Mitbestimmung unterliegen, „der Arbeitgeber nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers nur mit Zustimmung des Betriebsrats durchführen können” solle, dass ein hinreichender Schutz „des erzwingbaren Mitbestimmungsrechts bis zum ordnungsgemäßen Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens” ohne die Anerkennung eines Anspruchs auf Unterlassung mitbestimmungswidriger Maßnahmen nicht gewährleistet sei und dass nichts dafür spreche, § 87 BetrVG als abschließende Regelung – ohne einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrates – im Sinne einer vom Gesetzgeber gewollten Schutzlücke anzusehen sei (vgl. BAG a.a.O.).
Dementsprechend kommt ein Anspruch des Betriebsrates auf Unterlassung von Kündigungen schon deswegen nicht in Betracht, weil die Rechte des Betriebsrats in Bezug auf Kündigungen von Arbeitsverhältnissen abschließend in § 102 BetrVG geregelt sind und diese Regelungen anders als § 87 BetrVG gerade kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates in Bezug auf Kündigungen von Arbeitsverhältnissen enthält.
Somit hat der Betriebsrat auch keinen Anspruch auf Unterlassung von betriebsbedingten Kündigungen, die zur Durchführung einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG ausgesprochen werden sollen. Ein solcher Anspruch kann auch nicht auf den Anspruch des Betriebsrates auf Beratung bzw. Verhandlung eines Interessenausgleichs über die geplante Betriebsänderung gem. §§ 111 ff. BetrVG gestützt werden. Denn auch dieser Anspruch begründet ausweislich der §§ 112 ff. BetrVG gerade kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die geplante Betriebsänderung und schon gar nicht in Bezug auf betriebsbedingte Kündigungen zur Durchführung einer solchen Betriebsänderung. Ganz im Gegenteil schließt § 113 Abs. 3 BetrVG einen Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung solcher Kündigungen aus, weil sich aus dieser Vorschrift ergibt, dass betriebsbedingte Kündigungen, die der Arbeitgeber zur Durchführung eine Betriebsänderung ausspricht, „ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben”, nicht allein aus diesem Grunde – wie die gem. § 87 BetrVG mitbestimmungswidrigen, die Arbeitnehmer belastenden Maßnahmen – unwirksam sind (LAG München 5 TaBV 48/03). Trotz des Fehlens eines solchen Unwirksamkeitsgrundes einen Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung einer zur Durchführung eine...