Abmahnung bei Pflichtverstößen des Betriebsrates?
In dem vom LAG Hessen entschiedenen Fall (Beschluss vom 29. November 2021 – 16 TaBV 52/21) richtete sich der Betriebsrat mit einem Unterlassungsanspruch gegen ein Schreiben des Arbeitgebers, in dem dieser dem Betriebsrat vorwarf, Firmenunterlagen (Urlaubsanträge) unzulässigerweise eigenständig verändert zu haben. Das Schreiben endete mit folgendem Hinweis: "Sollten wir zukünftig noch mal ein solches Verhalten oder ein ähnliches Verhalten seitens des Betriebsrats mitbekommen, werden wir vor arbeitsrechtlichen Schritten nicht zurückschrecken."
Abmahnung im Betriebsverfassungsrecht?
Das LAG wertete dies als betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung und hielt eben diese für unzulässig. Das Betriebsverfassungsgesetz sehe eine betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung nicht vor, sondern enthalte lediglich das Verfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG, nach dem ein Betriebsrat aus dem Gremium ausgeschlossen oder der gesamte Betriebsrat aufgelöst werden kann. Dieses verlange allerdings gravierende Verletzungen des Betriebsrats gegen seine gesetzlichen Pflichten, also "grobe Pflichtverstöße". Leichte Pflichtverstöße sind nach Ansicht der Kammer damit sanktionslos. Eine betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung verfolge nur das Ziel, ein Betriebsratsgremium oder ein einzelnes Betriebsratsmitglied zu verunsichern.
Das Ausschlussverfahren anzudrohen, wäre ein Verstoß gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG). Der Arbeitgeber müsse sich bei betriebsverfassungsrechtlichen Pflichtverstößen somit entscheiden – zwischen keiner Sanktion oder der strengen Folge des Ausschlussverfahrens. Dazwischen sehe das Betriebsverfassungsgesetz nichts vor.
Was spricht für eine betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung?
Diese Auffassung des LAG Hessen verkennt sowohl rechtliche als auch betriebspragmatische Gründe, die für die Zulässigkeit einer betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung sprechen. Gerade weil der Arbeitgeber nicht immer sofort die schweren Folgen des § 23 BetrVG auslösen will, ist eine Abmahnung ein milderes Mittel, die vertrauensvolle und gesetzeskonforme Zusammenarbeit des Betriebsrates mit dem Arbeitgeber einzufordern.
In der betrieblichen Praxis dürfte ein vernünftig handelnder Arbeitgeber leichte und unbedeutende Pflichtverstöße kritisch ansprechen und weder mit einer Abmahnung noch einem Ausschlussverfahren verfolgen. Ob aber eine Pflichtverletzung leicht oder grob ist, lässt sich nicht immer eindeutig einschätzen.
Wie soll der Arbeitgeber also mit Verstößen umgehen, die er wegen einer gewissen Schwere und Bedeutung für die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat nicht dulden will? Nach dem Beschluss des LAG Hessen muss er sie schlicht tatenlos hinnehmen.
Erfahrungsgemäß belasten Ausschlussverfahren nach § 23 Abs. 1 BetrVG das Klima zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber erheblich. Laufende Verhandlungen zu Betriebsvereinbarungen oder Abstimmungsvorgänge aus dem Tagesgeschäft leiden unter einem solchen Verfahren, ganz abgesehen davon, dass es sich nicht selten über zwei Instanzen hinzieht.
Die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung wäre daher ein geeignetes Mittel, um dem Betriebsrat einen Pflichtverstoß vorzuhalten, ohne diesen gleich hart zu sanktionieren.
Was kann abmahnungsrelevant sein?
Eine Abmahnung kann beispielsweise in Betracht kommen, wenn Betriebsräte ihre datenschutzrechtlichen Pflichten oder Schweigepflichten nach dem Betriebsverfassungsgesetz verletzten. Auch wenn der Betriebsrat eine Betriebsänderung (§§ 111 ff BetrVG) verzögert, für Besprechungen mit dem Arbeitgeber nicht erreichbar ist, Betriebsratsanhörungen zur Kündigung oder Versetzungs- und Einstellungsanträge nicht annehmen will, er die Zusammenarbeit in einer betrieblichen Schlichtungskommission oder paritätischen Kommission verweigert oder sich im Betrieb parteipolitisch äußert, muss dies nicht immer sofort ein Ausschlussverfahren auslösen. Die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung wäre hier ein praktikables milderes Mittel.
Was ist bei einer betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung zu beachten?
Damit eine Abmahnung in Betracht kommt, sind einige Grundsätze zu beachten:
- Der Sachverhalt und der Pflichtverstoß müssen dem Betriebsratsgremium oder dem einzelnen Betriebsratsmitglied bestimmt dargestellt werden.
- Zur Dokumentation und aus Nachweiszwecken ist die Schrift-/Textform zu empfehlen.
- Zur Abgrenzung von einer reinen Ermahnung, müssen am Ende des Abmahnungstextes die arbeits- betriebsverfassungsrechtlichen Sanktionen genannt werden.
- Ebenso wie eine Abmahnung von Mitarbeitern nicht zu einer Kündigung führen muss, besteht keine Verpflichtung, nach einer betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung auch das Ausschlussverfahren nach § 23 BetrVG einzuleiten; umgekehrt darf eine betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung nicht zur Voraussetzung für die Durchführung des Verfahrens nach § 23 BetrVG gemacht werden.
- Zahlreiche betriebsverfassungsrechtliche Abmahnungen wegen leichter Pflichtverstöße führen nicht automatisch dazu, dass ein Ausschlussverfahrens wirksam ist.
Fazit
Die Frage nach der betriebsverfassungsrechtlichen Abmahnung mag zunächst unbedeutend erscheinen. Bei näherer Betrachtung erkennt man jedoch, wie wegweisend sie in einem Konflikt zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sein kann.
Trotz der Entscheidung des LAG Hessen und der strittigen Rechtslage bleibt die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung daher ein Instrument, das in der betrieblichen Praxis weiterhin Anwendung finden wird. Will ein Betriebsrat eine ihm gegenüber ausgesprochene Abmahnung gerichtlich beseitigen, müsste jedes Betriebsratsmitglied selbst ein arbeitsgerichtliches Verfahren führen, um den ihm vorgeworfenen Pflichtverstoß in einem öffentlichen Beschlussverfahren zu klären. Allein diese prozessrechtliche Einschränkung bewirkt häufig, dass betriebsverfassungsrechtliche Abmahnungen akzeptiert oder zumindest zeitlich befristet hingenommen werden.
Die betriebsverfassungsrechtliche Abmahnung ist auch der richtige Weg, um (zumindest vorläufig) ein Verfahren nach § 23 BetrVG zu vermeiden. Sie dokumentiert Pflichtverstöße und belegt, dass die Zusammenarbeit mit einem einzelnen Betriebsratsmitglied oder dem Gremium insgesamt vorbelastet war. Damit kann der Arbeitgeber glaubhaft zeigen, dass er gerade mit dem Ziel einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zunächst eine "Reparatur" der Beziehung verfolgt – und nicht bei jedem Pflichtverstoß sofort ein Ausschlussverfahren einleitet.
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