Entscheidungsstichwort (Thema)
Zukunftsbezogenheit des Aufhebungsverfahrens nach § 101 Satz 1 BetrVG. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die tarifliche Altersgrenze hinaus
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Aufhebungsantrag nach § 101 S. 1 BetrVG dient der Beseitigung eines betriebsverfassungswidrigen Zustands. Entscheidungen im Aufhebungsverfahren haben deshalb nur für die Zukunft Wirkung. Der Antrag nach § 101 S. 1 BetrVG wird daher unbegründet, wenn die antragsgegenständliche personelle Einzelmaßnahme durch Zeitablauf bereits geendet hat.
2. Mit der Entscheidung des Arbeitgebers zur Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über die kollektiv-rechtliche Altersgrenze hinaus liegt eine Einstellung i.S.d. § 99 Abs. 1 BetrVG vor. Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG, kann also z.B. seine Zustimmung verweigern, wenn durch die Weiterbeschäftigung im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer benachteiligt werden (§ 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG).
Normenkette
BetrVG §§ 99, 101 S. 1; SGB VI § 41 S. 3; TzBfG § 14 Abs. 3 S. 2; TV-N § 19 Abs. 1 Buchst. a)
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 27.11.2019; Aktenzeichen 5 BV 248/19) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 27.11.2019 - 5 BV 248/19 - und die Anschlussbeschwerde der Arbeitgeberin werden zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird für die Arbeitgeberin zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Verlängerung eines Arbeitsverhältnisses über die tarifliche Altersgrenze hinaus der Zustimmung des Betriebsrats bedarf.
Der Antragsteller ist der im gemeinsamen Betrieb der zu 2) und zu 3) beteiligten Arbeitgeberinnen gebildete siebenundzwanzigköpfige Betriebsrat. Der Unternehmensbereich Verkehr betreibt den öffentlichen Nahverkehr im Großraum A-Stadt durch U-Bahnen, Busse und Trambahnen mit ca. 4.400 Beschäftigten. Im Betrieb Verkehr findet eine Gesamtbetriebsvereinbarung "Ausschreibungsrichtlinien für die Stadtwerke A-Stadt GmbH nach § 93 BetrVG" Anwendung (Anlage ASt. 3 = Bl. 11 ff. d. A.; im Folgenden: GVB Ausschreibungsrichtlinie). Danach sind freie Stellen grundsätzlich auszuschreiben.
Dem Betriebsrat wurde mit Schreiben vom 08.04.2019 mitgeteilt, dass der mit dem Arbeitnehmer R.K. geschlossene Arbeitsvertrag gemäß § 19 (1) a) TV-N wegen Vorliegens der Voraussetzungen für den Bezug der gesetzlichen Regelaltersrente mit Ablauf des 31.05.2019 enden würde. Auf Wunsch des Arbeitnehmers werde das Arbeitsverhältnis gemäß § 41 Satz 3 SGB VI aktuell bis zum 31.05.2020 hinausgeschoben. Der Betriebsrat werde rein vorsorglich über diese Maßnahme in Kenntnis gesetzt (Anlage ASt. 1 = Bl. 9 d. A.). Mit Schreiben vom 15.04.2019 verweigerte der Betriebsrat seine Zustimmung zu der nach seiner Auffassung befristeten Einstellung des betreffenden Arbeitnehmers gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 5 BetrVG. Für den Inhalt des Schreibens wird auf die Anlage ASt. 2 (= Bl. 10 d. A.) Bezug genommen. Das Zustimmungsersetzungsverfahren wurde nicht eingeleitet. Der benannte Arbeitnehmer wurde wie beabsichtigt ab 01.06.2019 befristet bis zum 31.05.2020 weiterbeschäftigt.
Mit Antrag vom 24.06.2019 hat der Betriebsrat die Aufhebung der Beschäftigung des namentlich benannten Arbeitnehmers als Trambahnfahrer und die Festsetzung eines Zwangsgeldes für jeden Tag der Zuwiderhandlung beantragt. Nach herrschender Meinung liege eine nach § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtige Einstellung auch im Fall einer Beschäftigung über die vertraglich vereinbarte oder tarifliche Altersgrenze hinaus vor. Das BetrVG sehe in der Fortführung von Arbeitsverhältnissen den kollektiv-rechtlichen Ansatz für eine Einstellung, unabhängig von der Veränderung der Tätigkeit oder der Veränderung des dem Beschäftigungsverhältnis zugrundeliegenden Vertrags. Seine danach erforderliche, aber fehlende Zustimmung sei gerichtlich nicht ersetzt worden.
Die Arbeitgeberinnen haben für ihre Zurückweisungsanträge die Auffassung vertreten, dass es an der für eine Aufhebungsentscheidung erforderlichen personellen Maßnahme im Sinne des § 99 BetrVG fehle. Eine Einstellung liege nicht vor, da die Konstellation der Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses nicht gegeben sei. Es handele sich bei dem Arbeitsverhältnis mit dem namentlich genannten Arbeitnehmer um ein von Beginn an auf unbestimmte Zeit abgeschlossenes Arbeitsverhältnis, dessen Beendigungszeitpunkt nach § 41 Satz 3 SGB VI hinausgeschoben worden sei. Eine Auswahlentscheidung irgendwelcher Art sei nicht getroffen worden, insbesondere da es im Betrieb zahlreiche offene Stellen als Trambahnfahrer gebe. Sämtliche Umstände der Beschäftigung (Tätigkeit, Arbeitsplatz, Arbeitsbereich, Vorgesetzte und Vergütung) seien gleichgeblieben. Die anderslautende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts treffe spätestens seit dem Inkrafttreten des § 41 Satz 3 SGB VI nicht mehr zu.
Das Arbeitsgericht München h...