Entscheidungsstichwort (Thema)
Ungleichbehandlung wegen Teilzeit. Reichweite des Benachteiligungsverbots des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG. Sachliche Rechtfertigungsgründe einer Ungleichbehandlung. Unwirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Verfallklausel
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Ungleichbehandlung wegen Teilzeit liegt vor, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstellt, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpft. § 4 TzBfG schützt dabei vor einer unmittelbaren Benachteiligung ebenso wie vor einer mittelbaren Benachteiligung.
2. Das Benachteiligungsverbot des § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG betrifft nach seinem Wortlaut das Verhältnis von teilzeit- zu vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern. Das Verbot gilt aber auch dann, wenn teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer untereinander unterschiedlich behandelt werden, sofern eine Gruppe der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer wie vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer behandelt und die andere Gruppe der Teilzeitbeschäftigten von einzelnen Leistungen ausgeschlossen wird.
3. Eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeitbeschäftigten kann nur gerechtfertigt sein, wenn sich ihr Grund aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der Teilzeitarbeit herleiten lässt. Die Sachgründe müssen anderer Art sein, etwa auf Arbeitsleistung, Kommunikation, Berufserfahrung, unterschiedlichen Arbeitsplatzanforderungen oder der sozialen Lage beruhen.
4. Eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Verfallklausel, die entgegen § 3 Satz 1 MiLoG auch den gesetzlichen Mindestlohn erfasst, verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und ist insgesamt unwirksam, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31. Dezember 2014 abgeschlossen wurde.
Leitsatz (amtlich)
Die Differenzierung im Stundenlohn (€ 17 / € 12) zwischen "hauptamtlichen" (Voll- und Teilzeit) und "nebenamtlichen" Beschäftigten (geringfügige Beschäftigung) im Rettungsdienst ist nicht sachlich gerechtfertigt. Die Tatsache, dass die "hauptamtlich" Beschäftigten von der Arbeitgeberin in den Dienstplan eingeteilt werden und die "nebenamtlich" Beschäftigten mitteilen, welche angebotenen Dienst sie übernehmen bzw. wann sie Zeit haben, rechtfertigt die unterschiedliche Bezahlung nicht, da hierfür keine objektiven Gründe gegeben sind, die einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dienen, zur Zielerreichung geeignet und erforderlich sind und die Unterscheidung nicht dem Zweck der Leistung entspricht.
Normenkette
TzBfG § 4 Abs. 1; BGB §§ 134, 307 Abs. 1 S. 2, § 612 Abs. 2; TzBfG § 22; GewO § 106; MiLoG § 3 S. 1
Verfahrensgang
ArbG München (Entscheidung vom 28.07.2021; Aktenzeichen 36 Ca 9963/20) |
Nachgehend
Tenor
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 28.07.2021, Az. 36 Ca 9963/20 wird abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 1.732,32 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.09.2020 zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 238,73 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz sei 01.01.2021 zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 489,83 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.03.2021 zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 825,00 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.06.2021 zu zahlen.
6. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits.
7. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über - in der Höhe unstreitige - Differenzlohnansprüche, die der Kläger wegen einer behaupteten Benachteiligung aufgrund seiner Tätigkeit als geringfügig Beschäftigter beansprucht.
Der Kläger ist seit dem 01.04.2015 bei der Beklagten als Rettungsassistent im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses tätig.
Die Beklagte betreibt ein Unternehmen, das im Auftrag des Rettungszweckverbandes Notfallrettung betreibt sowie Krankentransporte durchführt und sonstige sanitätsdienstliche Leistungen erbringt.
Die Beklagte zahlt an den Kläger einen Stundenlohn von 12,00 € brutto. § 3 des Arbeitsvertrages (Bl. 45 d. A.) enthält folgende Regelung:
"§ 3 Arbeitszeit, Arbeitsort
Von beiden Vertragsparteien ist ein möglichst regelmäßiger Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers gewünscht.
Die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt 16 Stunden pro Monat. darüber hinaus kann der Arbeitnehmer im gesetzlichen Rahmen der geringfügigen Beschäftigung weitere Stunden ableisten. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich aktiv um Schichten zu kümmern.
....."
Die Beklagte teilt den Kläger nicht zu Diensten ein, der Kläger erhält vielmehr einerseits u.a. über WhatsApp Anfragen bezüglich zu besetzender Dienste, die nicht angenommen werden müssen und kann andererseits Wunschtermine für Einsätze selbst benennen.
Im Betrieb werden zudem Rettungsassistenten in Vollzeit und Teilzeit beschäftigt, deren Stundenlohn bei mehr als € ...