Entscheidungsstichwort (Thema)
Die Zuweisung von Arbeitssachen zum Urteilsverfahren und zum Beschlussverfahren in den §§ 2 und 2a ArbGG. Zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff im Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess. Streitgegenstand als maßgebliche Bestimmungsgröße für die zu wählende Verfahrensart. Beschlussverfahren für Streitigkeiten aus dem betriebsverfassungsrechtlichen Verhältnis der Betriebspartner. Urteilsverfahren für Vergütungsansprüche eines freigestellten Betriebsratsmitglieds
Leitsatz (amtlich)
In den in § 2 ArbGG geregelten Arbeitssachen findet das Urteilsverfahren statt (§ 2 Abs. 5 ArbGG), während über die in § 2a ArbGG genannten Arbeitssachen im Beschlussverfahren zu befinden ist (§ 2a Abs. 2 ArbGG). Maßgebend für die Bestimmung der zutreffenden Verfahrensart ist der Streitgegenstand. Vom Streitgegenstand werden alle materiell-rechtlichen Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des gestellten Antrags aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach dem auch für arbeitsgerichtliche Verfahren geltenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund), aus dem die begehrte Rechtsfolge hergeleitet wird, bestimmt.
2. Bezieht sich das Verfahren auf das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis der Betriebspartner oder stehen die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung des Betriebs und die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Betriebspartner als Träger dieser Ordnung im Streit, entscheiden darüber die Gerichte für Arbeitssachen im Beschlussverfahren als der dafür geschaffenen und besonders geeigneten Verfahrensart.
3. Die Rechtsgrundlage für Ansprüche eines Betriebsratsmitglieds auf Fortzahlung seines Arbeitsentgelts für die während seiner Betriebsratstätigkeit versäumten Arbeitszeit bzw. während der Freistellung bleibt auch dann der Arbeitsvertrag (§ 611a Abs. 2 BGB), wenn betriebsverfassungsrechtliche Voraussetzungen als Vorfrage dieser Ansprüche zu klären sind. Deshalb ist für diesen Streit das Urteilsverfahren die richtige Verfahrensart.
Normenkette
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3a, § 2a Abs. 1 Nr. 1; BetrVG § 78 S. 2; GVG § 17 Abs. 2 S. 1; ArbGG § 48 Abs. 1; BGB § 611a Abs. 2; BetrVG § 37 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 23.05.2023; Aktenzeichen 2 BV 3/23) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 23.05.2023 - 2 BV 3/23 - wird auf Kosten des Beschwerdeführers zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Vorabentscheidungsverfahren über die zutreffende Verfahrensart.
Der Beteiligte zu 1. (im Folgenden: Antragsteller) ist seit dem 04.05.2010 vollfreigestelltes Mitglied in dem bei der Beteiligten zu 2. (im Folgenden: Arbeitgeberin) gebildeten Betriebsrat. Mit Schreiben vom 30.01.2023 teilte der Arbeitgeberin dem Antragsteller mit, man müsse aufgrund eines Urteils des Bundesgerichtshofs vom 10.01.2023 (6 StR 133/22) voraussichtlich die Entgeltgruppe des Antragstellers nach unten korrigieren. Mit Schreiben vom 24.02.2023 erläuterte die Arbeitgeberin, wie das Entgelt zukünftig errechnet werde. Sie machte einen Rückforderungsanspruch für die Monate Oktober 2022 bis Januar 2023 wegen überbezahlter Differenzvergütung geltend.
Der Antragsteller hat folgende Anträge angekündigt:
1.
der Beteiligten zu 2. aufzugeben, es zu unterlassen, den Beteiligten zu 1. dadurch i.S.d.
§ 78 S. 2 BetrVG zu benachteiligen, dass die Beteiligte zu 2.
a)
den Beteiligten zu 1. nach Rückgruppierung seit dem 01.02.2023 nach EG 11 und nicht weiterhin nach EG 14 vergütet,
b)
zur Ermittlung des Lohnausfalls des Beteiligten zu 1. eine Vergleichsgruppe aus Maschinen- und Anlagenüberwachern und nicht Maschinenschlossern (Tätigkeitskennziffer 27300) zu Grunde legt,
c)
dem Beteiligten zu 2. keine Schichtvergütung zahlt, sowie,
d)
die hypothetische Mehrarbeit des Beteiligten zu 2. nicht auf Basis der Vergleichsgruppe des Beteiligten zu 1. sondern pauschal über den Betrieb A-Stadt hinweg ermittelt und vergütet und
e)
hierbei nicht die realen Abwesenheitszeiten (Urlaub und Krankheit) des Beteiligten zu 1. sondern die Abwesenheitszeiten aller Personen der Beschäftigtengruppe Leistungslohn (LL) kumulativ zu Grunde legt.
2.
der Beteiligten zu 2. aufzugeben, es zu unterlassen, den Differenzbetrag zwischen EG 14 und EG 11 in Höhe von 860,50 EUR/Monat rückwirkend für die Monate Oktober 2022 bis Januar 2023 entsprechend der Rückgruppierung nach Ziff. 1 a) mit Vergütungsansprüchen des Beteiligten zu 1. aufzurechnen.
3.
der Beteiligten zu 2. für jeden Monat der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung nach Ziff. 1 sowie für jeden Monat der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung nach Ziff. 2 jeweils ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, anzudrohen.
4.
die Beteiligte zu 2. zum Ersatz des Schade...