Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsvertrag als Allgemeine Geschäftsbedingungen. Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Grenzen des Direktionsrechts. Dringende betriebliche Erfordernisse bei der betriebsbedingten Änderungskündigung. Änderungskündigung und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Begrenzte gerichtliche Überprüfung unternehmerischer Entscheidungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Sowohl das äußere Erscheinungsbild der formularmäßigen Vertragsgestaltung als auch die häufige Verwendung des Arbeitsvertragsformulars lassen auf Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB schließen.
2. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind - ausgehend vom Vertragswortlaut - nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von rechtsunkundigen, verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind.
3. Sieht der Arbeitsvertrag lediglich die Übertragung anderer Aufgaben mit der Formulierung "nach dem dafür geltenden Berufsbild" vor, die sich auf die Position des Abteilungsleiters Produktion und Logistik bezieht, kann keine andere Tätigkeit als diejenige eines "Abteilungsleiters Produktion und Logistik" zugewiesen werden.
4. Eine Änderungskündigung ist durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinn von § 1 Abs. 2 KSchG bedingt, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb überhaupt oder unter Zugrundelegung des Vertragsinhalts zu den bisherigen Arbeitsbedingungen entfällt.
5. Ob der Arbeitnehmer eine ihm vorgeschlagene Änderung billigerweise hinnehmen muss, ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu ermitteln. Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags an die verbliebenen Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Die angebotenen Änderungen dürfen sich nicht weiter vom bisherigen Inhalt des Arbeitsverhältnisses entfernen, als dies zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist.
6. Liegt eine unternehmerische Entscheidung vor, so ist sie selbst nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung und ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unvernünftig oder willkürlich ist. Der Arbeitgeber ist insbesondere - bis zur Grenze der Willkür - nicht gehindert, auch wirtschaftlich nicht zwingend notwendige Organisationsentscheidungen zu treffen.
Normenkette
BGB § 305 Abs. 1 S. 1, § 310 Abs. 3 Nr. 2; GewO § 106 S. 1; KSchG § 1 Abs. 2 Sätze 1, 4, §§ 2, 4 S. 1, §§ 7, 23 Abs. 1; BetrVG § 102
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 16.02.2022; Aktenzeichen 2 Ca 751/21) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 16. Februar 2022, Az. 2 Ca 751/21, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung und einer unter Vorbehalt angenommenen ordentlichen betriebsbedingten Änderungskündigung.
Die Beklagte gehört zu den führenden Herstellern von intelligenten IP-Videosystemen auf dem internationalen Markt und ist Teil des K.-Konzerns. Sie beschäftigt circa 350 Arbeitnehmer. Bei ihr ist ein Betriebsrat gebildet.
Der 1962 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Fertigungstechnik. Er ist seit dem 01.05.2010 bei der Beklagten aufgrund eines Arbeitsvertrags für Angestellte vom 24.02.2010 (Bl. 4 ff. d. A.) am Standort L. beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthält auszugsweise folgende Regelungen:
"§ 2
Tätigkeit
Der Arbeitnehmer wird eingestellt als Abteilungsleiter Produktion und Logistik. Sein Aufgabengebiet richtet sich nach dem dafür geltenden Berufsbild und den Bestimmungen dieses Vertrages. Es umfasst insbesondere:
- Gesamtverantwortung für die Produktion und Produktionslogistik;
- Strategische Planung des Produktionsprozesses;
- Prozessoptimierung und Qualitätssicherung;
- Sicherstellung des termingerechten und wirtschaftlichen Produktionsablaufs.
2. [...]
§ 3
Einsatzbereich
1. Der Arbeitnehmer ist eingestellt zur Tätigkeit in L..
2. Die Arbeitgeberin ist berechtigt, dem Arbeitnehmer vorübergehend bis zu sechs Monaten andere seiner Vorbildung oder Ausbildung, seinen Fähigkeiten oder beruflichen Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten zuzuweisen.
3. Bei Zuweisung einer üblicherweise geringer entlohnten Tätigkeit erhält der Arbeitnehmer seine vertraglichen Bezüge weiter. Wird der Arbeitnehmer mit einer üblicherweise höher vergüteten Tätigkeit insgesamt länger als sechs Monate beschäftigt, so hat er ab dem siebten Monat Anspruch auf die höhere Vergütung.
4. Wenn der Arbeitnehmer vorübergehend in seinem Tätigkeitsbereich nach § 2 aufgrund gesetzlicher Schutzvo...