Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes zu Gesprächen des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Unbegründete Klage der Arbeitnehmerin aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Wertung
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 84 Abs. 2 SGB IX besteht keine Pflicht der Arbeitgeberin, einen Rechtsbeistand der betroffenen Arbeitnehmerin zu Gespräch über betriebliche Eingliederungsmaßnahmen (BEM) hinzuzuziehen; das Gesetz benennt die von der Arbeitgeberin neben der betroffenen Arbeitnehmerin zu beteiligenden Personen und Stellen ausdrücklich (Betriebsrat oder Personalrat, Schwerbehindertenvertretung, Werks- oder Betriebsarzt, örtliche gemeinsame Servicestellen der Rehabilitationsträger, Integrationsamt).
2. Ob die Arbeitgeberin in "extremen Ausnahmefällen" verpflichtet sein kann, einer Arbeitnehmerin zu gestatten, BEM-Gespräche in Begleitung eines Rechtsbeistandes zu führen, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu prüfen; jedenfalls begründet allein die Erkrankung der Arbeitnehmerin keine besondere Schutzbedürftigkeit, welche die Teilnahme eines Rechtsanwalts am BEM-Gespräch zum Ausgleich einer "strukturellen Unterlegenheit" erforderlich macht.
3. Ziel der betrieblichen Eingliederungsmaßnahmen ist die frühzeitige Klärung, ob und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine möglichst dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu fördern; die in § 84 Abs. 2 SGB IX genannten Maßnahmen dienen damit letztlich der Vermeidung einer Kündigung und der Verhinderung von Arbeitslosigkeit erkrankter und kranker Menschen, so dass eine mangelnde "Waffengleichheit" nicht zu besorgen ist.
Normenkette
SGB IX § 84 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 25.06.2014; Aktenzeichen 10 Ca 493/14) |
Tenor
- Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 25. Juni 2014, Az. 10 Ca 493/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin die Hinzuziehung eines Rechtsbeistandes zu Gesprächen des betrieblichen Eingliederungsmanagements verlangen kann.
Die Beklagte gehört zu einem Versicherungskonzern. Die 1971 geborene Klägerin ist seit Dezember 1996 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern als Sachbearbeiterin zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt € 3.706,- mit 38 Wochenstunden in Vollzeit angestellt. Sie wurde zunächst am Standort Saarbrücken eingesetzt. Aufgrund einer unternehmensweiten Umstrukturierung wurde sie mit ihrem Einverständnis ab 01.10.2007 am Standort Mainz beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag vom 07.09.2007 vereinbarten die Parteien den Dienstort Mainz. Die Klägerin behielt jedoch ihren Wohnsitz in der Nähe von Saarbrücken bei und pendelte nach Mainz.
Nach der Geburt ihres Sohnes im Jahr 2010 nahm die Klägerin Elternzeit bis zum 13.04.2012 in Anspruch, die einvernehmlich bis zum 13.04.2013 verlängert wurde. Seit 14.04.2013 ist die Klägerin ununterbrochen arbeitsunfähig krankgeschrieben.
In einem weiteren Rechtsstreit (LAG Rheinland-Pfalz 5 Sa 378/14) streiten die Parteien darüber, ob die Klägerin befristet bis zum 30.09.2016 neben einer Verringerung ihrer Arbeitszeit auf 20 Wochenstunden - womit die Beklagte einverstanden ist -, auch eine Verlagerung ihres Arbeitsortes von Mainz nach Saarbrücken, hilfsweise die Einrichtung eines Heimarbeitsplatzes beanspruchen kann.
Die Beklagte beabsichtigt, das gem. § 84 Abs. 2 SGB IX vorgeschriebene betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) durchführen. Deshalb lud sie die Klägerin bereits im September 2013 zu einem BEM-Gespräch ein. Auf Seiten der Beklagten sollen die lokale Personalsachbearbeiterin sowie die Vorgesetzte der Klägerin teilnehmen. Außerdem sollen ein Mitglied des Betriebsrats und ggf. der Schwerbehindertenvertreter des Standorts Mainz teilnehmen, wenn die Klägerin dem nicht widerspricht. Die Klägerin ist mit der Durchführung des BEM einverstanden; sie verlangt jedoch die Teilnahme ihres Prozessbevollmächtigten als Rechtsbeistand an dem BEM-Gespräch. Dies lehnt die Beklagte ab. Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz vom 25.06.2014 (dort S. 2 bis 6) Bezug genommen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihren Rechtsbeistand Sch. zu den Gesprächen des betrieblichen Eingliederungsmanagements zwischen ihr und der Beklagten zuzulassen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage nach vorausgegangenem Versäumnisurteil abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - zusammengefasst - ausgeführt, die Klägerin könne die Teilnahme ihres Prozessbevollmächtigten an dem BEM-Gespräch nicht erzwingen. § 84 Abs. 2 SGB IX sehe einen derartigen Anspruch nicht vor. Ein Anspruch folge weder aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) noch aus Fürsorgegesichtspunkten (§ 242 BGB). Wegen de...