Kündigung wegen Krankheit - die Hürden für ein ordnungsgemäßes bEM bleiben hoch


Hürden für ein ordnungsgemäßes bEM bleiben hoch

Eine Kündigung ist nach einem Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts durch eine Krankheit nicht bedingt, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt.

Der Fall: Fand ein bEM statt oder nicht?

Der klagende Arbeitnehmer wurde wegen des Umstands, dass er krankheitsbedingt seinen Aufgaben nicht oder nicht im erforderlichen Maße nachkommen konnte, von der Beklagten Arbeitgeberin gekündigt. Im Vorfeld dieser Kündigung fand ein Gespräch statt, das die Arbeitgeberin als „betriebliches Eingliederungsmanagement“ (bEM) bezeichnete, dessen Inhalt allerdings strittig ist und das vom Arbeitnehmer nicht als solches angesehen wurde.

Das Arbeitsgericht Offenbach wies die Kündigung zurück (Urteil vom 29.1.2021, Az. 4 Ca 378/20). Mit der hiergegen eingelegten Berufung der Arbeitgeberin hatte sich das Hessische LAG zu befassen.

LAG: Das Gespräch war kein bEM

Auch das LAG (Urteil vom 19.7.2021, Az. 16 Sa 231/21) hielt die Kündigung für rechtswidrig. Die ordentliche Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, weil sie nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt sei, § 1 Abs. 2 KSchG. Eine Kündigung ist dann durch eine Krankheit nicht „bedingt“, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Dies können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, gegebenenfalls spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (so z.B. auch das BAG, Urteil vom 20.11.2014, Az. 2 AZR 755/13).

Die Arbeitgeberin war hier gemäß § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchzuführen, da der Kläger innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war. Dies war zwischen den Parteien auch nicht streitig.

Ein regelkonformes bEM habe jedoch nicht stattgefunden:

  1. Dies setzt zunächst voraus, dass der Arbeitgeber den betreffenden Arbeitnehmer auf die Ziele des BEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hinweist (BAG, s.o.).
  2. Zudem kommt es darauf an, ob bestimmte vom Arbeitgeber tatsächlich ergriffene Maßnahmen den Anforderungen eines BEM genügen, und es ist zu prüfen, ob sie sich als der vom Gesetz vorgesehene umfassende, offene und an den Zielen des BEM ausgerichtete Suchprozess erweisen. Dafür reicht es nicht aus, mit dem betreffenden Arbeitnehmer die Fragestellung eines möglichen Zusammenhangs zwischen seiner Tätigkeit und den Erkrankungen zu besprechen.

Selbst wenn die Arbeitgeberin den Kläger in dem umstrittenen Gespräch nach den Ursachen seiner Arbeitsunfähigkeitszeiten gefragt hat (insbesondere, ob diese im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit stehen), und der Kläger erklärt hat, die Arbeit sei halt schwer, aber er könne sie ausüben und die Beklagte könne insoweit keine Hilfestellung geben, reicht dies nicht aus. Als medizinischer Laie konnte der Kläger selbst nicht beurteilen, ob ein Zusammenhang zwischen seinen Arbeitsunfähigkeitszeiten und seiner Tätigkeit besteht.

Die Beklagte hätte daher weitere Maßnahmen ergreifen müssen, um zu klären, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um die Fehlzeiten des Klägers zu mindern. Hierfür wäre es jedenfalls angezeigt gewesen, einen Arbeitsmediziner hinzuzuziehen, der den Kläger untersucht und die gesundheitlichen Anforderungen seines Arbeitsplatzes mit seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen abgleicht, Feststellungen über mögliche (technische) Hilfestellungen (z.B. Hebehilfen) oder eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes trifft.

Allein die Aufforderung an den Kläger, ein aktuelles fachärztliches Attest vorzulegen, reiche hierfür nicht aus. Im Übrigen sei nicht auszuschließen, dass bei ordnungsgemäßer Durchführung eines bEM Rehabilitationsbedarfe in der Person des Klägers hätten erkannt und durch entsprechende Maßnahmen künftige Fehlzeiten spürbar hätten reduziert werden können.

Praxistipp

Ob ein bEM ordnungsgemäß durchgeführt wurde oder nicht, ist immer wieder umstritten. Das liegt vor allem daran, dass es keine einheitlichen Regelungen dafür gibt, wie dieses konkret durchzuführen ist. Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren hierzu einige Anhaltspunkte entwickelt, die auf alle Fälle zu beachten sind. Das vorliegende Urteil gibt ebenfalls wichtige Hinweise dazu.