BEM: Missverständlicher Datenschutzhinweis kippt Kündigung

Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist keine formale Voraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung, kann aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zur Stolperfalle werden. Diese bittere Erfahrung machte ein Arbeitgeber vor dem LAG Baden-Württemberg, der bei der Einladung missverständliche Angaben zum Datenschutz machte.

Arbeitnehmer vier Jahre lang übermäßig oft krank

Ein Produktionsfacharbeiter in einem Großbetrieb fiel seit 2016 durch kurze, aber häufige krankheitsbedingte Fehlzeiten auf. Bis einschließlich 2019 kamen sechs bis zehn Wochen in jedem Jahr zusammen, in denen der Arbeitgeber Entgelt zahlen musste, ohne dass der Mitarbeiter seine Arbeit verrichtete.

Einladung zum BEM von Mitarbeiter nicht aufgegriffen

Der Arbeitgeber lud den Arbeitnehmer zur Durchführung eines BEM ein, worauf dieser nicht reagierte; es folgte die ordentliche personenbedingte Kündigung. Dieser Sachverhalt ist unterwegs durch sämtliche Arbeitsgerichtsinstanzen, wobei der Arbeitgeber bislang immer den Kürzeren zog, zuletzt vor dem LAG Baden-Württemberg.

Prüfung der krankheitsbedingten Kündigung bei häufigen Kurzerkrankungen


  1. Stufe: ausreichend häufige Fehlzeiten in der Vergangenheit als Indiz für künftige Entwicklung im Sinne einer negativen Gesundheitsprognose
  2. Stufe: erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen in Form der jährlich sechs Wochen übersteigenden Entgeltfortzahlungskosten
  3. Stufe: Interessenabwägung, die zugunsten des Arbeitgebers ausfallen muss als billigerweise nicht mehr hinzunehmender Zustand

BEM wichtiger Wegweiser für Verhältnismäßigkeit der Kündigung

Wie so häufig wurde es erst auf der dritten Stufe kritisch für den Arbeitgeber. Hier spielt das BEM eine nicht zu unterschätzende Rolle. Es soll ausloten, ob das Arbeitsverhältnis durch Umgestaltung oder Anpassung des Arbeitsplatzes erhalten werden kann. Der Arbeitgeber muss insoweit die Initiative ergreifen.

Schwerer Stand des Arbeitgebers im Prozess, der dem BEM keine Chance einräumt

Der Arbeitgeber, der das BEM von vornherein sein lässt, trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast, dass es objektiv nutzlos ist. Wenn auch nur ein kleiner Hoffnungsschimmer besteht, dass ein BEM ein positives Ergebnis hätte bringen können – und der Arbeitnehmer wird alles dafür tun, dies so darzustellen - unterliegt der Arbeitgeber wegen „vorschneller“ Kündigung.

Der Arbeitgeber wollte ein BEM durchführen

Dem Arbeitgeber, der in diesem Fall willens war ein BEM durchzuführen, wurde sein Einladungsschreiben zum Verhängnis. Er hatte es in Bezug auf die Behandlung der Daten des Arbeitnehmers missverständlich gefasst.

In § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX (aktuelle Fassung) heißt es:

Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen.“

Informationen zu Diagnosen nur mit Zustimmung des Betroffenen

Der Arbeitgeber darf auch im Rahmen des BEM Diagnosen oder ähnlich sensible (Gesundheits-)Daten vom Arbeitnehmer nur erfahren, wenn dieser das ausdrücklich möchte. Es reicht, wenn er die Art der Einschränkung kennt, um den Arbeitsplatz leidensgerecht zu gestalten.

Der Vorwurf an den Arbeitgeber

Das Einladungsschreiben konnte so verstanden werden, dass Daten des Arbeitnehmers ggf. der Standortleitung bekannt gegeben würden ohne Hinweis auf die Freiwilligkeit der Offenbarung durch den Arbeitnehmer. Wäre der Datenschutz korrekt wiedergegeben worden, hätte sich der Arbeitnehmer vielleicht auf ein BEM eingelassen, so das LAG Baden-Württemberg. Da § 167 Abs. 2 Satz 4 SGB IX dies so genau nicht hergibt, geht der Fall weiter zum BAG.


(LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 20.10.2021, 4 Sa 70/20)
 

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