Entscheidungsstichwort (Thema)
Bemessungsgrundlage für die Berechnung des Aufstockungsbetrages bei Altersteilzeit von Grenzgängern. Zahlungsklage eines in Frankreich lebenden französischen Staatsbürgers mit Grenzgängerstatus und Arbeitsstelle im räumlichen Geltungsbereich des deutsch-französischen Doppelbesteuerungsabkommens
Leitsatz (amtlich)
1. In Fällen französischer Grenzgänger wirkt sich nach der Auslegung des EuGH (Urteil v. 28.03.2012 - C-172/11 - [Fall: Erny] in NZA 2012, Seite 863-866 - Rn 41 bei juris) die fiktive Berücksichtigung der deutschen Lohnsteuer insoweit nachteilig auf die Situation der Grenzgänger aus, als der fiktive Abzug dieser Steuer bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage des Aufstockungsbetrags Personen mit französischem Grenzgängerstatus, die in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland ansässig und steuerpflichtig sind, gegenüber Arbeitnehmern benachteiligt, die in Deutschland ihren Wohnsitz haben und dort steuerpflichtig sind. Damit scheidet die Anwendung der nach der Verordnungsermächtigung in § 15 ATG erstellten Mindestnettobetragstabelle in Bezug auf Grenzgänger aus.
2. Nach den Vorgaben des EuGH (vgl. EuGH Urteil vom 28.03.2012 aaO. Rn. 53 bei juris m.w.N.) schreiben weder Artikel 45 AEUV noch die Verordnung (EWG) Nummer 1612/68 den Mitgliedsstaaten oder einem privaten Arbeitgeber eine bestimmte Maßnahme im Fall der Verletzung des Diskriminierungsverbots vor. Die entstandene Regelungslücke kann und muss unter Berücksichtigung des mutmaßlichen Willens der Tarif Vertragspartner bzw. der Partner der Gesamtbetriebsvereinbarung und des Einzelvertrags geschlossen werden.
3. Die Anwendung einer ebenfalls fiktiven Steuer nach Vorgaben französischen Steuerrechts auf ein um Individualisierungen bereinigtes Monatsbasiseinkommen - also auch ohne Ehegatteneinkommen - (vergleichbar den Ausgangsbestandteilen des zur Mindestnettobetragstabelle führenden Monatsverdienstes) zur Ermittlung der Höhe des an frz. Grenzgänger zu zahlenden Aufstockungsbetrages im Altersteilzeitarbeitsverhältnis schließt die entstandene Regelungslücke in einer Weise, die dem Willen der (Individual-/Kollektiv-) Parteien am nächsten kommt. Dabei kommt es nicht zu einer mit dem DBA FRA unvereinbaren echten Doppelbesteuerung, da letztlich nur das Gesamteinkommen mit seinen für den Grenzgänger und seine Familie zu berücksichtigenden Individual-Steuermerkmalen in Frankreich der dortigen progressiven Steuertabelle unterworfen wird.
Normenkette
AltTzG a.F. § 3 Abs. 1, §§ 6, 15 S. 1; BGB § 611 Abs. 1; ERA-MTV § 35; AEUV Art. 45; EWGV 1968/1612 Art. 7 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Saarlouis (Entscheidung vom 19.10.2010; Aktenzeichen 1 Ca 1101/09) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Saarlouis vom 19.10.2010 - 1 Ca 1101/09 - unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten im Übrigen wie folgt teilweise abgeändert und deshalb neu gefasst:
(1) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum von November 2009 bis Dezember 2009 einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von jeweils 10,03 EUR monatlich, insgesamt somit einen Betrag in Höhe von 20,06 EUR, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.06.2010 zu zahlen.
(2) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum von Januar bis April 2010 einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von jeweils 11,10 EUR monatlich, insgesamt somit einen Betrag in Höhe von 44,40 EUR, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 30.06.2010 zu zahlen.
(3) Die Beklagte wird verurteilt,
a) ab Mai 2010 bis Dezember 2010 monatlich an den Kläger einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von 11,10 EUR zu zahlen.
b) ab Januar 2011 bis Dezember 2011 monatlich an den Kläger einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von 11,50 EUR zu zahlen.
c) ab Januar 2012 bis August 2012 monatlich an den Kläger einen zusätzlichen Aufstockungsbetrag zum Altersteilzeitentgelt in Höhe von 11,24 EUR zu zahlen.
(4) Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
(5) Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten zu 1/20 und dem Kläger zu 19/20 auferlegt.
(6) Der Streitwert wird auf 6.297,60 EUR festgesetzt.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger und Berufungsbeklagte zu 91/100 und die Beklagte und Berufungsklägerin zu 9/100.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten vorliegend bezüglich der Berechnung von Aufstockungsbeträgen zum Altersteilzeitentgelt, ob für in Frankreich lebende französische Staatsbürger mit Grenzgängerstatus und Arbeitsstelle in Deutschland die steuerliche Behandlung einzelner Geldfaktoren nach deutschem oder nach französischem Steuerrecht zu erfolgen hat. Dabei geht es konkret um eine Altersteilzeitvereinbarung nach dem Blockmodell für einen Sechs-Jahres-Zeitraum von 01.09.2006 bis 31.08.2012 unter tarifvertraglich vereinbarter He...