Besonderheiten bei der Abfindungsversteuerung von Grenzgängern
Blick in die aktuelle Rechtslage
Ein DBA enthält Regelungen über die Zuweisung des Besteuerungsrechts entweder an den Wohnsitz- oder den Tätigkeitsstaat und zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung zwischen den Vertragsstaaten. Die zwischen Vertragsstaaten abgeschlossenen DBA orientieren sich an dem OECD-Musterabkommen. Die Zuweisung des Besteuerungsrechts bei Einkünften aus unselbständiger Arbeit orientiert sich an Art. 15 OECD-Musterabkommen. Einzelne Doppelbesteuerungsabkommen enthalten spezielle Regelungen für Grenzgänger:
- DBA Frankreich – Art. 13 Abs. 5
- DBA Luxemburg KonsVerLUXV
- DBA Niederlande – Art. 14 Abs. 3
- DBA Österreich – Art. 15 Abs. 6
- DBA Schweiz – Art. 15a
Grenzgänger sind Personen, die im Grenzgebiet eines Vertragsstaats arbeiten und ihre ständige Wohnstätte, zu der sie in der Regel jeden Tag zurückkehren, im Grenzgebiet des anderen Vertragsstaats haben (zum Grenzgebiet „Deutschland-Frankreich“ siehe BMF, Schreiben v. 16.11.2021, BStBl I 2021, 2230).
Nach Maßgabe des jeweiligen DBA ist der Arbeitslohn dann im Tätigkeitsstaat steuerfrei und kann nur im Wohnsitzstaat besteuert werden.
Offene Frage
Der BFH musste nunmehr die Frage entscheiden, wo eine Abfindungszahlung zu besteuern ist, wenn der Grenzgänger erst im Laufe der von der Abfindung umfassten Tätigkeitszeit in das Grenzgebiet das anderen Landes verzogen ist.
Sachverhalt: Zahlung einer Abfindung an einen Grenzgänger
Der der BFH-Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt verhielt sich folgendermaßen:
- Der Kläger hatte bis Ende Oktober 2005 seinen Wohnsitz im Inland. Seither liegt sein ausschließlicher Wohnsitz in Frankreich.
- Von Februar 1995 bis zum Juni 2015 (245 Monate) stand er in einem Arbeitsverhältnis mit einem inländischen Unternehmen.
- Für den Zeitraum Februar 1995 bis Oktober 2005 (129 Monate) wandte der inländische Arbeitgeber das inländische Lohnsteuerabzugsverfahren an.
- Von November 2005 bis einschließlich Juni 2015 (116 Monate) war der Kläger Grenzgänger und aufgrund von Freistellungsbescheinigungen von der deutschen Lohnsteuer freigestellt. Die laufenden Einkünfte des Klägers aus seinem inländischen Arbeitsverhältnis wurden in Frankreich der Einkommensbesteuerung unterworfen.
- Das Dienstverhältnis endete aufgrund eines Vergleichs im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens zum 30.6.2015. Es war eine Abfindung i.H.v. 180.000 EUR brutto zu leisten.
- Dem Arbeitgeber lag eine Freistellungsbescheinigung für Grenzgänger vor.
- Gegenüber seinem Arbeitgeber erklärte der Kläger zudem, dass er seinen Wohnsitz in Frankreich auch nach Auszahlung der Abfindung aufrechterhalten und weder er noch seine Familienangehörigen in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren werden.
- Der Arbeitgeber des Klägers unterwarf – nach Abstimmung mit seinem Finanzamt (FA) – dennoch einen Teil der Abfindungszahlung dem inländischen Lohnsteuerabzug. Höhe: 180.000 EUR x 129/245 = 94.775,51 EUR. Die darüber hinausgehende Abfindung blieb steuerfrei.
- Der Kläger beantragte beim FA sinngemäß die Freistellung von diesen Abzugsbeträgen. Sein Arbeitgeber habe die Lohnsteuer und sonstigen Abzugsbeträge zu Unrecht einbehalten und an das FA abgeführt. Denn als Grenzgänger sei er mit seinen inländischen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Frankreich und nicht in Deutschland steuerpflichtig. Dem folgte das Finanzamt nicht.
FG Baden-Württemberg: Keine Anwendung der Grenzgängerregelung auf Abfindungszahlungen
Das FG Baden-Württemberg bejahte mit Urteil v. 11.2.2020 (6 K 1055/18, EFG 2020, 1469) die Steuerpflicht eines Teils der Gesamtabfindung.
Entscheidung: Kein Anspruch auf Freistellung der strittigen Abfindung
Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine weitere steuerliche Freistellung der Abfindung. Gründe:
- Nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG sind inländische Einkünfte auch solche Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die als Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG für die Auflösung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, soweit die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlegen haben.
- Die Abfindungszahlung gehört zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Soweit diese auf den Zeitraum entfällt, in dem der Kläger in Deutschland besteuert wurde, kann nach nationalstaatlichen Regelungen eine Arbeitslohnbesteuerung als inländische Einkünfte erfolgen.
- Der Besteuerung steht das DBA Frankreich nicht entgegen.
- Zwar sind Abfindungszahlungen grundsätzlich im Ansässigkeitsstaat zu besteuern, weil diese nach Abkommensrecht nicht für eine konkrete im Inland oder Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt werden (Rz. 37 m.w.N.).
- Etwas anderes ergibt sich jedoch aus dem DBA Frankreich, wonach das Besteuerungsrecht für Abfindungen grundsätzlich dem Tätigkeitsstaat zusteht (Art. 13 Abs. 1 DBA Frankreich – Rz. 38).
- Für die Tätigkeitszeiträume, in denen das DBA Frankreich zur Anwendung kommt, verlagert sich die Steuerpflicht nach Frankreich (Rz. 42).
Praxisfolgen
Die Rezensionsentscheidung verdeutlicht die Problematik bei internationalen Entsendungsfällen. Neben der Prüfung, ob nach nationalstaatlichem Recht eine Besteuerung erfolgen kann, muss nach dem jeweiligen DBA die Zuweisung des Besteuerungsrechts geprüft werden.
Beachtenswert ist, dass in der Anlage N für bestimmte Grenzgänger bereits Angaben eintragbar sind. Es bedarf dann nicht der Ausfüllung der Anlage N-AUS.
BFH, Urteil v, 1.8.2024, VI R 52/20; veröffentlicht am 24.11.2024
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