Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachteilsausgleich bei Stilllegung einer Spielbank nach Insolvenzeröffnung. Feststellungsklage des Arbeitnehmers auf Bestand des Nachteilsausgleichsanspruchs als Masseforderung
Leitsatz (amtlich)
Die Pflichten der §§ 111 ff. BetrVG richten sich an den Unternehmer und setzen eine von ihm geplante Betriebsänderung voraus. Eine als Betriebsänderung in Frage kommende Betriebsstillegung liegt nicht bereits in der Einstellung des Spielbankbetriebs. Genauso wie die bloße Einstellung einer Geschäftstätigkeit grundsätzlich rückgängig gemacht werden kann, liegt in der bloßen Nichtbeschäftigung von Arbeitnehmern keine Auflösung der Betriebsorganisation. Entscheidend sind niemals die außerbetrieblichen Umstände (Genehmigungen, Verbote, Auftragslage), sondern das, was der Unternehmer (deswegen) plant bzw. umsetzt. Die Verpflichtung, wegen der Stilllegung des Betriebes den Versuch eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat zu unternehmen, entfällt nicht deshalb, weil die Stilllegung des Betriebes die unausweichliche Folge einer wirtschaftlichen Zwangslage ist und es zu ihr keine sinnvollen Alternativen gibt. Eine Begrenzung der Höhe des Nachteilausgleichs ergibt sich nicht aus § 123 Abs. 1 InsO. Die Vorschrift gilt für Sozialpläne, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen werden, eine analoge Anwendung auf den Nachteilsausgleich scheidet aus.
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird eine Betriebsänderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen und durchgeführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, ist der Anspruch auf Nachteilsausgleich eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO und kann grundsätzlich im Wege der Leistungsklage gegen den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden; hat der Insolvenzverwalter die Unzulänglichkeit der Masse anzeigt, wird nach § 210 InsO die Vollstreckung einer zuvor begründeten Masseverbindlichkeit nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig und lässt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage entfallen, so dass der Arbeitnehmer seinen Anspruch gegen den Insolvenzverwalter nur noch im Wege der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO geltend machen kann.
2. Führt ein Unternehmer eine geplante Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG aus, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und entlässt er infolge dieser Maßnahme Beschäftigte, steht diesen nach Maßgabe des § 113 Abs. 3 BetrVG ein Anspruch auf Nachteilsausgleich zu.
3. Eine Betriebsänderung in Form der Stilllegung besteht in der Aufgabe des Betriebszwecks unter gleichzeitiger Auflösung der Betriebsorganisation für eine unbestimmte und nicht nur vorübergehende Zeit; ihre Umsetzung erfolgt, sobald der Unternehmer unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen Organisation ergreift, was jedenfalls dann der Fall ist, wenn er die bestehenden Arbeitsverhältnisse zum Zwecke der Betriebsstilllegung kündigt.
4. Sind zum Zeitpunkt der Planung der Betriebsstilllegung weder Betriebsmittel noch Räumlichkeiten vorhanden, kann der Ausspruch von Kündigungen gleichzeitig der erste und auch der letzte Akt der Betriebsänderung sein; ein Rechtssatz, dass eine Betriebsänderung immer in mehreren Akten durchgeführt werden muss, lässt sich aus den §§ 111 ff. BetrVG nicht ableiten.
5. In der bloßen Nichtbeschäftigung nach Einstellung des Betriebs einer Spielbank liegt keine Auflösung der Betriebsorganisation; auch eine Freistellung der Beschäftigten von der Arbeitspflicht stellt regelmäßig noch keine Durchführung der Betriebsstilllegung dar.
6. Wird eine Betriebsänderung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen und durchgeführt, ist der Anspruch auf Nachteilsausgleich eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO; die Einstufung als Neu- oder Altmasseverbindlichkeit hängt davon ab, ob die Betriebsänderung nach (neu) oder vor (alt) der Anzeige der Masseunzulänglichkeit beginnt.
Normenkette
InsO §§ 55, 122-123, 179, 209-210; BetrVG § 111 Abs. 3, § 112 Abs. 3, § 113 Abs. 3; KSchG § 10; InsO § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 209 Abs. 1 Nr. 3; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
1. Das Versäumnisurteil vom 16.07.2015 - 7 Sa 457/13 - wird aufrechterhalten.
2. Der Beklagte trägt auch die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über einen Nachteilsausgleichsanspruch des Klägers.
Beklagter ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der S. GmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin). Die Insolvenzschuldnerin betrieb mit insgesamt 82 Mitarbeitern (Massenentlassungsanzeige vom 17.04.2012, Bl. 97 f. d. A.) an den Standorten M., H. und W. Spielbanken mit jeweils örtlichen Betriebsräten. Ein Gesamtbetriebsrat bestand ebenfalls.
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