Entscheidungsstichwort (Thema)
Personalüberleitungsvertrag. Rechtsnatur. Bindungsdauer. Sittenwidrigkeit. Sittenwidrigkeit der Unkündbarkeit eines Personalüberleitungsvertrags
Leitsatz (amtlich)
1. Die übermäßige Bindung an einen Personalüberleitungsvertrag kann sittenwidrig sein, wenn er die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit eines an ihn gebundenen Unternehmens in unvertretbarer Weise einengt. Ob die Bindung unter Berücksichtigung des Vertragszwecks und der Interessen der Parteien gerechtfertigt ist, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls.
2. Die Vorschriften für Dienstverhältnisse, insbesondere § 624 BGB, finden auf den Personalüberleitungsvertragt keine Anwendung, denn der Personalüberleitungsvertrag ist kein Dienstvertrag. Es handelt sich um einen privatrechtlichen Vertrag eigener Art.
Normenkette
BGB §§ 138-139, 242, 307, 624
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 22.07.2009; Aktenzeichen 6 Ca 1035b/08) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerinnen wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 22.07.2008 (6 Ca 1035b/08) teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:
- Es wird festgestellt, dass der zwischen der Klägerin zu 1.) und dem Beklagten am 30.09.2001 geschlossene Personalüberleitungsvertrag durch die Kündigung vom 19./27.03.2007, dem Beklagten zugegangen am 27.03.2007, zum 31.12.2021 ohne Nachwirkung endet.
- Es wird festgestellt, dass ein zwischen der Klägerin zu 1.) sowie der Klägerin zu 2.) und dem Beklagten bestehender, sich aus § 35 des Übernahmevertrags vom 30.09.2001 (URNr. 899/2001 des Notars Dr. A. …) ergebender eigenständiger Personalüberleitungsvertrag durch die Kündigung vom 19./27.03.2007, dem Beklagten zugegangen am 27.03.2007, zum 31.12.2021 ohne Nachwirkung endet.
- Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- Von den Kosten des Rechtsstreits (beide Rechtszüge) tragen die Klägerinnen ¾ und der Beklagte ¼.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerinnen wenden sich gegen den Bestand zweier Personalüberleitungsverträge. Hilfsweise begehren sie Feststellung, dass einzelne Bestimmungen in diesen Verträgen unwirksam sind.
Der beklagte Landkreis (Beklagter) betrieb ein Klinikum in B. O. nebst einer Krankenpflegeschule und dreier Personalwohnheime. Daneben war er Träger von Alten- und Pflegeheimen in A. und R.. In den Einrichtungen waren über 500 Arbeitnehmer beschäftigt. Sie wurden durch einen Personalrat vertreten.
Die Klägerin und die A. Kliniken GmbH übernahmen mit notariellem Vertrag vom 30.09.2001 (Anlage B 1 = Bl. 155 ff. d. A.; im Folgenden: ÜV) die Trägerschaft und Sicherstellung des Betriebes des Klinikums S. der Kreisalten- und Pflegeheime in A. und R. vom Beklagten. Die Klägerin zu 2.) ist gem. § 123 Abs. 3 Nr. UmwG Rechtsnachfolgerin der A. Kliniken GmbH. Gemäß § 36 des ÜV beträgt der Kaufpreis 20,5 Mio. DM. In den §§ 33 – 35 dieses Vertrags finden sich Vorschriften zur Personalüberleitung. Nach § 33 Nr. 1 ÜV gehen die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Arbeitnehmer des Klinikums S. gemäß § 613 a BGB vom Kreis auf den Träger ab dem 01.01.2002 über.
In § 35 ÜV heißt es:
„Personalüberleitungsvertrag
Die Vertragsparteien haben heute und der Personalrat zuvor mit Wirkung zugunsten jedes am Übergabetag vorhandenen Mitarbeiters einen Personalüberleitungsvertrag, wie er im Entwurf als Anlage zur Bezugsurkunde beigefügt ist, abgeschlossen. Der Träger wird jedem übernommenen Mitarbeiter unverzüglich nach Überleitung der Betriebe anbieten, den Inhalt dieser Vereinbarung zugleich zum Gegenstand des Einzelvertrages zu machen. Jeder Mitarbeiter hat darauf einen Anspruch. Zusätzlich vereinbaren die Vertragsparteien, diesen Personalüberleitungsvertrag hiermit erneut mit der Maßgabe, dass er wirksam ist, obwohl der Personalrat heute an ihm nicht beteiligt ist.”
§ 48 ÜV hat folgenden Wortlaut:
Rechtliche und steuerliche Beratung
Die Parteien erklären, dass sie sich jeweils selbst rechtlich und steuerlich haben beraten lassen. Ihnen sind die bei Beurkundung und Abwicklung von Grundstücksverträgen zu beachtenden gesetzlichen Vorschriften, insbesondere der Inhalt und Umfang des § 313 BGB, bekannt.
Die Klägerin zu 1.), der Beklagte und der Personalrat schlossen ebenfalls am 30.09.2001 einen Personalüberleitungsvertrag (im Folgenden PÜV). Dieser Vertrag enthält vielfältige Regelungen zum Übergang der Arbeitsverhältnisse und zu deren Absicherung. Der PÜV lautet auszugsweise wie folgt:
Präambel
„Der Kreis ist Träger des Klinikums S. in B. O. sowie der Kreis- Alten- und Pflegeheime in A. und R.. Es ist die Überführung der Trägerschaft hinsichtlich dieser Betriebe auf den Übernehmer beabsichtigt. In diesem Zusammenhang wird folgender
Personalüberleitungsvertrag
betreffend die in den vorbezeichneten drei Betrieben jetzt und zukünftig beschäftigten Mitarbeiterinnen [gemeint sind auch Mitarbeiter] abgeschlossen.
Der Personalrat hat im Zusammenhang mit der vom Kreis vorgenommenen Auswahl der einzelnen Interessenten einen „Bewerber-Auswahlkriterien-Katalog” erstellt, zu dem der Übernehmer mit mehreren Antwortschreiben Stellung...