Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsratsanhörung. unvollständig. krankheitsbedingte Kündigung. Entgeltfortzahlungskosten. betriebliche Auswirkungen. Nachschieben. Ausnahme. Kenntnis. Betriebsrat. Betriebsratsanhörung und Nachschieben von Tatsachen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine objektiv unvollständige Betriebsratsanhörung verwehrt es dem Arbeitgeber, im Kündigungsprozess Gründe nachzuschieben, die über die Erläuterung des mitgeteilten Sachverhaltes hinausgehen (mit BAG vom 7.11.2002 – 2 AZR 599/01).

2. Will der Arbeitgeber eine krankheitsbedingte Kündigung im Prozess zur Darlegung unzumutbarer wirtschaftlicher Belastungen auf die Höhe der Entgeltfortzahlungskosten stützen, muss der dem Betriebsrat im Anhörungsverfahren Angaben zu den aufgelaufenen Entgeltfortzahlungskosten machen. Jedenfalls muss er dem Betriebsrat mindestens die durchschnittliche monatliche Vergütung oder die Lohngruppe des Arbeitnehmers nennen. Anderenfalls kann er sich auf die Höhe der Entgeltfortzahlungskosten als wirtschaftlich unzumutbare Belastung nicht im anschließenden Prozess berufen.

3. Der Betriebsrat ist nicht verpflichtet, die Vergütungshöhe selbst zu ermitteln und sich die Entgeltfortzahlungskosten selbst auszurechnen.

4. Im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG können Angaben des Arbeitgebers zu den betrieblichen Auswirkungen der Fehlzeiten des Arbeitnehmers nur dann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn Betriebsratsmitglieder den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers und die konkreten Auswirkungen seiner Fehlzeiten kennen. Steht fest, dass zusätzlich zu hohen Fehlzeiten des zu kündigenden Arbeitnehmers beträchtliche krankheitsbedingte Abwesenheitszeiten anderer Arbeitnehmer in der gleichen Abteilung zu verzeichnen sind, muss der Arbeitgeber im Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG zumindest grob vortragen, welche Folgen der wiederholten Ausfälle er dem zu kündigenden Arbeitnehmer zuordnet und das bzw. warum er deshalb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für unzumutbar hält. Unterlässt er dieses, ist er mit diesbezüglichem Vortrag im Kündigungsprozess ausgeschlossen.

 

Normenkette

BetrVG 1972 § 102; KSchG § 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Neumünster (Urteil vom 15.01.2004; Aktenzeichen 4 Ca 1335 b/03)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes Neumünster vom 15.1.2004 – 4 Ca 1335 b/03 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung und in diesem Zusammenhang vorab darüber, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört wurde bzw. welcher Vortrag der Beklagten im vorliegenden Gerichtsverfahren berücksichtigungsfähig ist.

Der Kläger ist am … 1961 geboren, mithin zurzeit 43 Jahre alt. Er ist seit dem 01.11.1990 als Mitarbeiter im Hauptlager/Gabelstapler bei der Beklagten beschäftigt und erhält durchschnittlich 2.200,00 Euro brutto monatlich. Er ist verheiratet und hat keine Kinder.

Seit 1994 weist der Kläger folgende Arbeitsunfähigkeitszeiten auf:

1994

42 Arbeitstage

ca. 8 ½ Wochen

1995

46 Arbeitstage

ca. 9 Wochen

1996

22 Arbeitstage

4 Wochen (ohne Unfall)

1997

15 Arbeitstage

3 Wochen

1998

18 Arbeitstage

ca. 3 ½ Wochen

1999

39 Arbeitstage

ca. 8 Wochen

2000

29 Arbeitstage

knapp 6 Wochen

2001

38 Arbeitstage

knapp 8 Wochen

2002

45 Arbeitstage

9 Wochen

bis 31.06.2003

25 Arbeitstage

5 Wochen im ersten Halbjahr.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Bl. 15 bis 18 d. A. verwiesen.

Wie zweitinstanzlich durch Vorlage einer Bescheinigung seiner Krankenkasse belegt, beruhen zumindest seit Mitte 1999 die Arbeitsunfähigkeitszeiten im Wesentlichen auf 2 Gruppen von Krankheitsursachen. Danach war der Kläger einerseits aufgrund verschiedenster Magenleiden wiederholt erkrankt. Zudem ergeben sich wiederholte Arbeitsunfähigkeitszeiten aus Beeinträchtigungen des Stütz- und Bewegungsapparates (Rückenschmerzen, Lumboischialgie, Zerrung von Gelenken, Krankheiten der Sehnen (Bl. 110 f. d. A.). Die Beklagte zahlte unstreitig seit dem Jahr 2000 Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von insgesamt 11.706,94 Euro, und zwar

für das Jahr 2000

2.251,22 Euro

für das Jahr 2001

3.090,36 Euro

für das Jahr 2002

3.976,11 Euro

für das Jahr 2003 bis 30.06.

2.389,25 Euro.

Im Lager der Beklagten arbeiten einschließlich des Klägers 6 Gabelstaplerfahrer. Von diesen Gabelstaplerfahrern weist unstreitig der Mitarbeiter M., 49 Jahre alt und seit 22 Jahren im Betrieb, vergleichbare krankheitsbedingte Fehlzeiten auf wie der Kläger. (Bl. 39, 56, 59 d. A.).

Im Betrieb der Beklagten existiert ein 11-köpfiger Betriebsrat. 6 Betriebsratsmitglieder arbeiten im Lager. U. a. der Lagerleiter ist Betriebsratsmitglied.

Am 23.06.2003 hörte die Beklagte den Betriebsrat zum beabsichtigten Ausspruch einer fristgemäßen Kündigung wegen häufiger krankheitsbedingter Fehlzeiten an. In dem Anhörungsschreiben sind Name, Vorname, Geburtsdatum, Anschrift, Familienstand und Steuerklasse, Beschäftigungsbeginn, Tätigkeit und Tätigkeitsbereich sowie Kündigungsfrist angegeben, die Vergütungsgruppe oder...

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