Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen des Widerrufs eines Arbeitszeugnisses
Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitgeber kann ein bereits erteiltes Arbeitszeugnis widerrufen und dessen Rückgabe verlangen, wenn ihm nachträglich Tatsachen bekannt werden, die eine andere Beurteilung rechtfertigen würden und für einen zukünftigen Arbeitgeber von ausschlaggebender Bedeutung bei der Einstellungsentscheidung sein könnten. Bereits vorliegende Erkenntnisse der organschaftlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreter des Arbeitgebers bei der Zeugniserteilung muss er sich dabei zurechnen lassen.
2. Daneben ist der Widerruf eines Zeugnisses auch möglich, wenn der Arbeitnehmer in Kenntnis der Zuständigkeiten für die Zeugniserteilung (Dienstweg) gezielt die Unkenntnis eines organschaftlichen Vertreters über maßgebliche Umstände für die Zeugniserteilung ausnutzt und sich dieses Vorgehen des Arbeitnehmers in einer Gesamtschau als treuwidrig darstellt.
Normenkette
BGB § 242; GewO § 109
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 17.03.2017; Aktenzeichen 4 Ca 2812 b/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 17.03.2017 - 4 Ca 2812 b/17 - geändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin das ihm erteilte Arbeitszeugnis vom 27.10.2016 herauszugeben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits (beide Instanzen).
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rückgabe eines dem Beklagten erteilten Arbeitszeugnisses.
Der Beklagte war aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrags vom 01.07.2014 bis zum 31.10.2016 als Hochbauingenieur in der Verwaltung der klagenden Gemeinde beschäftigt. Sein unmittelbarer Vorgesetzter war der Leiter des Fachdienstes Immobilien und Tourismus H.... Bereichsleiterin und weitere Vorgesetzte war ab Mai 2015 Frau P.... Diese sprach sich im November 2015 in einem internen Vermerk (Anlage K 4, Bl. 23 d. A.) gegen eine Weiterbeschäftigung des Beklagten über den Ablauf der Befristung hinaus aus, die damals noch zum 30.06.2016 vereinbart war.
Am 16.06.2016 bat der Beklagte den Leiter des Fachdienstes Allgemeine Verwaltung Sch... um die Ausstellung eines Zwischenzeugnisses. Frau P... teilte Herrn Sch... auf dessen Anfrage mit E-Mail vom 27.06.2016 mit, an der Arbeitsweise des Beklagten habe sich leider nichts geändert. Sie bekräftige ihre Stellungnahme vom 03.11.2015. Unter dem 20.07.2016 erhielt der Beklagte daraufhin ein von der Bürgermeisterin unterzeichnetes, gesiegeltes Zwischenzeugnis mit einer durchschnittlichen Beurteilung, bezüglich dessen Inhalt auf die Anlage K 3 (Bl. 21 d. A.) verwiesen wird. Am 07.10.2016 bewarb sich der Beklagte auf die von der Klägerin ausgeschriebene, bis zum 31.10.2016 von ihm selbst besetzte Stelle eines Diplom-Ingenieurs Hochbau bzw. Architekten Hochbau.
Am 28.10.2016 wandte sich der Beklagte mit einem von ihm entworfenen Zwischenzeugnis an den stellvertretenden Bürgermeister der Klägerin St... - die Bürgermeisterin selbst war an jenem Tag urlaubsbedingt ortsabwesend - und bat diesen um Unterzeichnung. Herr St... erklärte, er könne das Zeugnis nicht unterschreiben, da er die Leistungen des Beklagten nicht beurteilen könne. Er nahm dann Rücksprache mit Herrn H..., der ihm die Richtigkeit des Zwischenzeugnisses bestätigte. Darauf unterzeichnete Herr St... das Zeugnis und händigte dieses ungesiegelt dem Beklagten aus. Wegen des Inhalts dieses Zwischenzeugnisses, in dem der Beklagte sehr gut beurteilt wird, wird auf die Wiedergabe in der Klageschrift (Bl. 3 und 4 d. A.) verwiesen. Anlässlich einer Besprechung des Sachverhalts am 31.10.2016 erklärte der Beklagte auf Befragen, warum er das Zeugnis nicht über den Fachdienst Allgemeine Verwaltung angefordert habe, es habe sich um eine dringende Angelegenheit gehandelt. Mit Schreiben vom 04.11.2016 widerrief die Klägerin das Zeugnis. Mit ihrer Klage verlangt sie dessen Rückgabe.
Sie hat behauptet:
Für die Erstellung von Arbeitszeugnissen sei ausschließlich der Fachdienst Allgemeine Verwaltung und dort deren Leiter Herr Sch... zuständig. Dieser erstelle auf Grundlage einer Beurteilung des jeweiligen Vorgesetzten ein Arbeitszeugnis, das dann mit einem Dienstsiegel versehen und von der Bürgermeisterin unterzeichnet werde. Diese Handhabung sei auch dem Beklagten bekannt, der sich am 16.06.2016 selbst wegen des Zwischenzeugnisses an Herrn Sch... gewandt habe. Der Beklagte habe den Umstand ausgenutzt, dass Herrn St... der Inhalt des Zwischenzeugnisses vom 20.07.2016 nicht bekannt gewesen sei und habe diesen mithilfe von Herrn H... "überrumpelt". Es habe auch keinen Grund für dieses Vorgehen gegeben. Herr Sch... sei in der fraglichen Woche täglich und am 28.10.2016 bis 12.30 Uhr im Haus gewesen. Einen Anspruch auf ein Zeugnis habe zu jenem Zeitpunkt auch nicht bestanden. Der Beklagte habe Herrn St... an Herrn H... wegen der inhaltlichen Richtigkeit des Zeugnisses verwiesen. Dieser habe gemeinsam mit dem Beklagten Herrn St... getäuscht. Herr H... könne wegen umfangreicher...