Verwirkung eines Anspruchs auf Zeugnisberichtigung
Eine zu schlechte Beurteilung, ein falsches Ausstelldatum oder fehlender Dank – die Ausstellung von Arbeitszeugnissen führt immer wieder zu Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten. Darauf, dass der Arbeitgeber ihnen ein Arbeitszeugnis ausstellt, haben Mitarbeitenden einen Anspruch – und damit grundsätzlich auch auf Berichtigung des Zeugnisses, wenn dieses nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Wird der Zeugnisberichtigungsanspruch jedoch zu spät geltend gemacht, kann er verwirkt sein. Dabei kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an. Im konkreten Fall lagen zwei Jahre zwischen Zeugniserteilung und der Klage auf Berichtigung - dennoch war es nicht zu spät, entschied das LAG Baden-Württemberg.
Der Fall: Schlechtes Zeugnis führt zu Streit um Berichtigung
Der Arbeitnehmer war zunächst als Vertriebsingenieur, zuletzt als Produkt & Sales Engineer beschäftigt. Seit Jahren versuchte der Arbeitgeber - immer erfolglos -, das Arbeitsverhältnis durch Kündigungen zu beenden. Schließlich kündigte der Arbeitnehmer im März 2019 selbst.
Nach der Eigenkündigung erteilte der Arbeitgeber ihm am 29. Juni 2019 ein Arbeitszeugnis, in dem er seine Leistung insgesamt mit "ungenügend" bewertete. Es war die Rede von einer schwachen Leistungsfähigkeit, dass er nicht belastbar sei und sich nicht einfügen konnte.
Der Arbeitnehmer beanstandete dieses Zeugnis mit Rechtsanwaltsschreiben von Ende August 2019 als "völlig inakzeptabel". Im Oktober folgte ein weiteres Schreiben, in dem er durch den Anwalt mitteilte, dass das Zeugnis "ganz offensichtlich nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht" und vorsätzlich schädigend sei.
Klage auf Zeugnisberichtigung nach zwei Jahren
Der Arbeitgeber wehrte sich dagegen, ein neues Zeugnis auszustellen und ließ dies im Oktober 2019 durch seinen Anwalt mitteilen. Erst im Oktober 2021, also zwei Jahre später, klagte der Arbeitnehmer vor Gericht auf Zeugnisberichtigung. Das Arbeitsgericht Stuttgart wies die Klage mit dem Argument, der Zeugnisberichtigungsanspruch sei verwirkt, ab.
LAG Baden-Württemberg: Arbeitgeber muss ungenügendes Zeugnis berichtigen
Nach Auffassung des LAG Baden-Württemberg war der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zeugnisberichtigung nicht verwirkt. Das Gericht entschied: Der Arbeitgeber habe kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des erteilten Zeugnisses gehabt, da er den Arbeitnehmer böswillig mit "ungenügend" beurteilt habe und der Arbeitnehmer das Zeugnis als "sittenwidrig", "unterirdisch" und von vorsätzlicher Schädigungsabsicht getragen beanstandet habe. Das gelte auch, wenn er den Anspruch erst nach zwei Jahren geltend mache.
Voraussetzung der Verwirkung: Nicht nur Zeit zählt
Das LAG Baden-Württemberg stellte dazu in der Begründung fest, dass folgende Voraussetzungen erfüllt sein müssten, damit der Zeugnisberichtigungsanspruches verwirkt sei: Der Berechtigte müsse ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht haben, obwohl er dazu in der Lage war (Zeitmoment) und der Verpflichtete müsse sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten dürfen und sich darauf eingerichtet haben, dieser werde sein Recht auch künftig nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment).
Zeugniskorrekturanspruch nicht verwirkt
Das Zeitmoment sah das Gericht vorliegend auch als gegeben an, es fehlte seiner Meinung nach jedoch am Umstandsmoment. Der Arbeitgeber habe vorliegend nicht darauf vertrauen können, dass der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf eine Zeugnisberichtigung fallengelassen hätte. Das Verlangen auf Zeugnisberichtigung nach zwei Jahren sei insofern nicht überraschend, da der Arbeitnehmer das Zeugnis bereits zeitnah nach der Erteilung mit harschen Worten zurückgewiesen habe.
Hinweis: LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 31.5.2023, Az.: 4 Sa 54/22
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