REVISION / RECHTSBESCHWERDE / REVISIONSBESCHWERDE ZUGELASSEN NEIN
Entscheidungsstichwort (Thema)
Benachteiligung wegen Rechtsausübung. Beweislast. Anscheinsbeweis. Klagefrist. Verwirkung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Beweislast dafür, daß der Grund für eine Benachteiligung die Ausübung eines Rechtes war, trägt der Arbeitnehmer.
2. Im Rahmen des § 612 a BGB sind dem Arbeitnehmer Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zu gewähren.
3. Die Nichtigkeit einer Kündigung gemäß §§ 134, 612 a BGB ist ein Mangel, der unabhängig von der Klagefrist des § 4 KSchG geltend gemacht werden kann.
Normenkette
BGB § 612a
Verfahrensgang
ArbG Neumünster (Urteil vom 24.08.1988; Aktenzeichen 3b Ca 536/87) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 24.08.1988 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer der Klägerin am 22. Januar 1987 ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung. Der wegen dieser Kündigung erhobenen Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht Neumünster durch das den Parteien am 14.09.1988 zugestellte Urteil vom 24. August 1988, auf das zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, stattgegeben.
Hiergegen richtet sich die am 11. Oktober 1988 eingelegte und mit einem am 09. November 1988 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung der Beklagten.
Die Beklagte hält die Ausführungen des Arbeitsgerichtes zur Frage der Verwirkung für unzutreffend und die Beweiswürdigung für fehlerhaft. Ihr Direktionsrecht gehe soweit, daß sie auch mehr oder weniger sinnlose Tätigkeiten habe anordnen können, wenn sie betriebsbedingt eine tatsächlich notwendige Arbeit für die Klägerin nicht gehabt habe.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 24.08.1988 auf ihre Kosten zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens im zweiten Rechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze und auf das Terminsprotokoll vom 25. Juli 1989 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die gemäß § 64 ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 518 f. ZPO, § 66 ArbGG). Sie ist jedoch nicht gerechtfertigt.
1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 22. Januar 1987 nicht aufgelöst worden, denn diese Kündigung ist gemäß § 134 BGB nichtig. Sie verstößt gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB.
Nach der letztgenannten Vorschrift darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.
Die Kündigungsschutzklage, der das Arbeitsgericht Neumünster durch Urteil vom 14.01.1987 stattgegeben hat, stellt eine zulässige Form der Rechtsausübung dar. Die Beweislast dafür, daß diese Rechtsausübung der Grund für die Benachteiligung durch die Kündigung vom 22.01.1987 war, trägt die Klägerin. Sie hat den ihr obliegenden Beweis jedoch geführt.
Im Rahmen des § 612 a BGB sind dem Arbeitnehmer Beweiserleichterungen nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zu gewähren. Der Anscheinsbeweis ist geführt, wenn der Arbeitnehmer Tatsachen nachweist, die einen Schluß auf die Benachteiligung wegen der Rechtsausübung wahrscheinlich machen, z. B., wenn der zeitliche Zusammenhang evident ist (s. dazu Schaub in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. Auflage, § 612 a Rn. 11). Solche Tatsachen sind im vorliegenden Fall gegeben:
Nach dem in erster Instanz gewonnenen Kündigungsrechtsstreit wurde die Klägerin ohne erkennbaren Grund an einem neuen Arbeitsplatz getrennt von den übrigen Mitarbeitern mit sinnlosen Arbeiten beschäftigt. Die Beklagte hat nicht behauptet, daß auch die vergleichbaren Arbeitnehmer, die keinen Kündigungsschutzprozeß geführt hatten, so eingesetzt worden seien. Der Klägerin ist außerdem aufgegeben worden, sich trotz des Betreibens einer Stempeluhr bei jedem Verlassen des Arbeitsplatzes mündlich ab- und anzumelden. Diese Anordnung war aus den im erstinstanzlichen Urteil dargelegten Gründen durch Sicherheitsbedenken nicht zu rechtfertigen. Aufgrund der Beweisaufnahme ist die Kammer auch davon überzeugt, daß für die Klägerin und die Zeugin G., die ebenfalls einen Kündigungsschutzprozeß gegen die Beklagte in erster Instanz gewonnen hatte, eine Pausenregelung eingeführt worden ist, die von der der vergleichbaren Arbeitnehmer abwich. Das Landesarbeitsgericht macht sich dazu die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Urteils zu eigen. Auch für diese Maßnahme war ein sachlicher Grund nicht erkennbar, da die ohnehin sinnlose Arbeit der Klägerin ohne Schaden für die Beklagte jederzeit hätte unterbrochen werden können.
Die genannten Umstände legen den Schluß nahe, daß die Beklagte wegen der vorausgegangenen Kündigungsschutzklage Arbeitsvertragsverletzungen der Klägerin pro...