Dipl.-Ing. Cornelia von Quistorp, Michael Schurr
Licht ist mehr als hell oder dunkel. Licht ist von jeher eine grundlegende Voraussetzung für die Entwicklung und das Bestehen allen Lebens. Der Mensch ist in höchstem Maße abhängig vom Licht, denn ohne Licht ist alles Leben unvorstellbar, ja unmöglich.
Licht ist Lebensgrundlage: Die Menschen brauchen das Licht nicht nur, um zu sehen, sondern auch für andere lebenswichtige Funktionen. Lichtsignale, über unsere Augen wahrgenommen, steuern unsere "innere Uhr" im Gehirn, aktivieren Gene und Proteine, beeinflussen unser Hormonsystem und koordinieren unseren biologischen Rhythmus. Tag für Tag wirkt Licht auf Physis und Psyche, auf unser Wohlbefinden, unsere Konstitution und Leistungsfähigkeit. Licht ist existenziell für die menschliche Orientierung, Kreativität und nicht zuletzt auch Produktivität.
Vor der umfassenden Elektrifizierung arbeiteten die Menschen nur dann, wenn genug natürliches Licht zur Verfügung stand. Heute hängt der wirtschaftliche Erfolg dagegen in hohem Maße davon ab, jederzeit produktiv sein zu können – auch während der dunklen Tages- und Nachtzeiten. Natürliche Lichtquellen haben daher immer mehr an Bedeutung verloren. An ihre Stelle sind die künstlichen Lichtquellen getreten. Sie sind heutzutage Basis für fast jedes Arbeitsverfahren. Die Technik erlaubt uns, von Natur gesetzte Grenzen zu durchbrechen. Durch das künstliche Licht machen wir die Nacht zum Tag.
Nach wie vor ist es dem Menschen jedoch nicht möglich, sein ursprüngliches Erbe vollständig zu verleugnen. Im Laufe der Evolution hat er sich an den Tageslichtverlauf angepasst, der nach wie vor in nicht unwesentlichem Maße seinen Biorhythmus bestimmt. Aus diesem Grunde dürfen die Eigenschaften des Tageslichts bei der Betrachtung künstlicher Beleuchtung nicht außer Acht gelassen werden.
Tageslicht ist gefordert
Gemäß Abschn. 5.1 ASR A3.4 müssen die Arbeitsstätten möglichst ausreichend Tageslicht erhalten. Eine Beleuchtung mit Tageslicht ist der Beleuchtung mit ausschließlich künstlichem Licht vorzuziehen. Helle Wände und Decken unterstützen die Nutzung des Tageslichts. Tageslicht weist Gütemerkmale auf, die in ihrer Gesamtheit von künstlicher Beleuchtung nicht zu erreichen sind, z. B.:
- Dynamik,
- Farbe,
- Richtung und
- Menge des Lichts.
Tageslicht hat i. Allg. eine positive Wirkung auf die Gesundheit und das Wohlempfinden des Menschen.
Wirklich ganzheitliche Arbeitsplatzgestaltung kommt am Wert des Tageslichts nicht vorbei. Der verantwortungsbewusste Planer muss für den Menschen Arbeitsplätze an der Sonne schaffen – auch und gerade im Zeitalter des mit Technik überfrachteten Lebens um dem Lebensprinzip Licht gerecht werden. Obwohl die Bedeutung des Tageslichtes als Dreh- und Angelpunkt im Tageslauf bekannt ist bleibt es praktisch immer öfter außen vor. Unkenntnis und Bequemlichkeit des Menschen sorgen dafür, dass er sich selbst das Licht ausknipst und ein Stück Lebenskraft aussperrt oder mit künstlichem Licht überlagert.
Als ein Ziel aller Planungen einer Beleuchtungsanlage muss daher das Bestreben definiert werden, möglichst viele Eigenschaften des natürlichen Lichts auch mittels der künstlichen Beleuchtung gewährleisten zu können. Hier wird die interdisziplinäre Charakteristik der Beleuchtung deutlich, denn sie macht es erforderlich, bei der Schaffung einer optimalen Beleuchtungssituation sowohl die natürliche Beleuchtung (inkl. Blend- und Sonnenschutz) als auch die künstliche Beleuchtung zu berücksichtigen und zu einem sinnvollen Ganzen zu verbinden.