Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsleistungen. Teilhabe am Arbeitsleben. Entscheidungsbefugnis des Grundsicherungsträgers über zu erbringende Leistung. Beurteilung der Eignung. gerichtliche Überprüfbarkeit. BWL-Studium. einstweiliges Rechtsschutzverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Ungeachtet der Tatsache, dass der Bundesagentur für Arbeit als zuständigem Rehabilitationsträger die Feststellung des Rehabilitationsbedarfs obliegt, verbleibt die Entscheidungsbefugnis über die Leistungen, die für behinderte erwerbsfähige Hilfebedürftige erbracht werden, bei den Jobcentern.
2. Die Beurteilung der Eignung betrifft sowohl die körperliche als auch die geistige Leistungsfähigkeit für die angestrebte Maßnahme und die spätere berufliche Tätigkeit und umfasst eine prognostische Komponente, die der vollständigen gerichtlichen Überprüfung unterliegt.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 8. September 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Streitig ist die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Der 1989 geborene Antragsteller leidet seit seiner Schulzeit an psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen, die seine Konzentrationsfähigkeit, Stimmung und Antrieb herabsetzen (Aufmerksamkeits-Defizit-Symptomatik, massive Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, fehlende Selbststrukturierung). Dennoch gelang es ihm, die Schule mit dem Abitur abzuschließen. Ein im Jahr 2009 begonnenes Studium der Elektrotechnik am K1 in K2 brach er 2011 nach vier Semestern gesundheitsbedingt ab. Auch ein in den Jahren 2013 bis 2015 in S1 aufgenommenes VWL-Studium musste der Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen abbrechen, ebenso scheiterte ein weiterer Studienversuch ab 2018 in L2 (Finanzdienstleistungen) nach zwei Semestern. Nach den Angaben des Antragstellers im Rahmen psychologischer Begutachtungen scheiterte er jeweils aufgrund fehlender Selbststrukturierung und fehlenden Antriebs. An Prüfungen nahm er nicht teil. Maßnahmen zur Feststellung der beruflichen Leistungsfähigkeit, u.a. von September 2020 bis Dezember 2020 („First Step“) ergaben keine ausreichende Belastbarkeit, um eine berufliche Rehabilitation erfolgreich durchlaufen zu können. Auch mit der Alltagsbewältigung war der Antragsteller zeitweise überfordert (z.B. Telefonieren, Termine wahrnehmen, auf Post reagieren).
Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Baden-Württemberg hatte auf Veranlassung des Antragsgegners mit gutachterlicher Stellungnahme nach § 44a Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), § 109a Abs. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) vom 01.10.2021 festgestellt, dass der Antragsteller (zumindest) seit dem 03.03.2021 bis voraussichtlich 30.06.2023 voll erwerbsgemindert war und ergänzend darauf hingewiesen, dass mangels Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen kein Rentenanspruch bestand. Versuche des Antragsgegners, den Antragsteller zur Beantragung vorrangiger Leistungen beim Sozialhilfeträger zu veranlassen, führten jedoch ausweislich des Akteninhalts nicht zu einem Trägerwechsel. Der Antragsteller bezog (mit zwischenzeitlicher Unterbrechung) jedenfalls seit September 2022 weiterhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Vom Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit M1 wurde ihm im Rahmen mehrfacher psychologischer Begutachtungen bei insgesamt relativ hohem kognitivem Leistungsniveau eine psychische Behinderung mit der Notwendigkeit der Prüfung rehaspezifischer Hilfen bescheinigt (vgl. nur die psychologischen Gutachten vom 18.02.2020, 08.12.2021, 30.05.2023 sowie die sozialmedizinischen gutachterlichen Stellungnahmen vom 11.12.2019, 03.03.2021, 17.03.2022. Ausweislich der agenturärztlichen Stellungnahme vom 17.03.2022 bestand eine geminderte seelisch-psychische Belastbarkeit bei chronisch entzündlicher Erkrankung des Darmes (medikamentös eingestellt) mit (wieder) vollschichtiger Leistungsfähigkeit für körperliche mittelschwere Tätigkeiten ohne besonderen psychischen Stress. Auszuschließen seien konstant hoher Zeitdruck und hoher Funktionsdruck, konstant hohe Anforderungen an das Konzentrations- und Ausdauervermögen, besondere Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen, komplexe Lenkungs-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten und besondere Anforderungen an die sozialen Kompetenzen. Es wurde eine Stabilisierung durch berufsqualifizierende Maßnahmen und die Prüfung einer Ausbildung im Rahmen einer LTA-Maßnahme empfohlen.
Vom 12.09.2022 bis 04.10.2022 und 24.10. bis 28.10.2022 absolvierte der Kläger ein Reha-Assessment zur Eignungsabklärung und Belastungserprobung im Berufsförderungswerk H1/SRH. Ausweislich des Ergebnisberichts vom 25.11.2022 habe sich nach Grunderprobung, psychologischer Eignungstestung und Facherprobung gezeigt, dass der Antragsteller über ein hohes in...