Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsleistung. gesonderte Antragstellung. Antrag nach Arbeitsaufnahme. Nichtanwendung §§ 323ff SGB 3. § 37 SGB 2 als Spezialvorschrift. verfassungskonforme Auslegung. Mobilitätshilfe. Fahrkostenbeihilfe
Leitsatz (amtlich)
Im Bereich der Eingliederungsleistungen nach § 16 Abs 1 SGB 2 sind die Vorschriften der §§ 323 ff SGB 3 nicht anwendbar, da das SGB 2 in § 37 abweichende Regelungen iS von § 16 Abs 1a SGB 2 enthält. Eine Fahrkostenbeihilfe kann daher noch nach Arbeitsbeginn beantragt, allerdings erst ab Antragstellung bewilligt werden.
Orientierungssatz
1. Ein Antrag auf Arbeitslosengeld II umfasst nicht automatisch auch einen Antrag auf Eingliederungsleistungen nach § 16 SGB 2.
2. Die Regelung des § 16 Abs 1a SGB 2, die der Klarstellung der bisherigen Rechtslage dienen soll, entspricht der früheren Regelung des § 16 Abs 1 S 3 SGB 2 aF, bei der es sich um eine dynamische Rechtsgrundverweisung handelt.
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11. Februar 2008 abgeändert und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 11. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2007 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Fahrkostenbeihilfe für den Zeitraum vom 24. August bis 21. September 2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Die Beklagte erstattet ein Sechstel der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen, im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Fahrkostenbeihilfe.
Der 1956 geborene Kläger sowie die mit ihm zusammen lebende Ehefrau und vier Kinder bezogen seit Januar 2005 Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Am 21. August 2006 nahm der Kläger eine Beschäftigung bei der Firma O. KG auf. Eingesetzt war er in der Zeit vom 21. August bis 21. September 2006 bei der Firma f. GmbH in V. (Entfernung zur Wohnung des Klägers 20,5 km) und vom 22. September 2006 bis 21. Februar 2007 bei der Firma J. D. in M. (Entfernung zur Wohnung des Klägers 11,5 km).
Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 24. August 2006 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung einer Fahrkostenbeihilfe. Mit Bescheid vom 11. September 2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da der Antrag auf Mobilitätshilfen bei Aufnahme einer Beschäftigung grundsätzlich vor Arbeitsaufnahme zu stellen sei. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, § 16 SGB II enthalte keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Antrag vor Arbeitsaufnahme gestellt sein müsse. Darüber hinaus lege er Wert auf die Feststellung, dass er den Antrag auf Gewährung von Fahrkostenbeihilfe vor der Arbeitsaufnahme am 21. August 2006 gestellt habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende erfasse auch die Gewährung von Fahrkostenbeihilfe als Mobilitätshilfe. Nach § 37 Abs. 1 SGB II würden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nur auf Antrag erbracht. Über den Verweis von § 16 Abs. 1a SGB II auf die Geltung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) gelte unter anderem § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III, wonach Leistungen der Arbeitsförderung nur erbracht würden, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses beantragt worden seien. Leistungsbegründendes Ereignis sei hier die Aufnahme der Beschäftigung des Klägers. Die Antragstellung sei nach der Aufnahme der Beschäftigung erfolgt, so dass keine Fahrkostenbeihilfe gewährt werden könne. Die Ausnahmeregelungen in § 323 Abs. 1 Satz 3 und § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III fänden wegen § 16 Abs. 1 a SGB II keine Anwendung, da § 37 SGB II weder eine Leistungserbringung von Amts wegen, noch eine verspätete Antragstellung bei unbilliger Härte vorsehe. Die behauptete Antragsstellung vor Arbeitsaufnahme sei nicht substantiiert dargelegt.
Mit seiner am 19. April 2007 zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe am Vormittag des 21. August 2006 von dem Leiter der Zeitarbeitsfirma O. P. KG das Angebot zum Abschluss eines Arbeitsvertrags als Produktionshelfer erhalten. Der Abschluss des Arbeitsvertrags sei an die Bedingung geknüpft gewesen, das Arbeitsverhältnis sofort anzutreten. Entsprechend habe der Kläger noch am Vormittag des 21. August 2006 seine Arbeit aufgenommen. Am 22. und 23. August 2006 habe er erfolglos wiederholt versucht, die Beklagte telefonisch zu erreichen. Am 24. August 2006 habe er bei der Entleihfirma in V. um eine Freistellung von der Arbeit gebeten, um Einstiegsgeld und Fahrkostenbeihilfe beantragen zu können. Entsprechend § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III sei der Antrag zwar grundsätzlich vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses ...