Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Familienversicherung. Gesamteinkommen. Einkommensgrenze. vorausschauende Betrachtung. Berücksichtigung von Einkommensteuerbescheiden nicht nach Veranlagungszeitraum, sondern ab Zeitpunkt ihres Erlasses für die Zukunft. keine rückwirkende Feststellung des Nichtbestehens einer Familienversicherung bei Vorliegen von bestandskräftigen Verwaltungsakten über den Versicherungsstatus der Versicherten
Leitsatz (amtlich)
1. Bei Statusentscheidungen im Versicherungsrecht (hier: Feststellung des Bestehens einer Familienversicherung) ist grundsätzlich eine vorausschauende Betrachtungsweise angezeigt.
2. Ein für einen abgelaufenen Veranlagungszeitraum erstellter Steuerbescheid kann zwar nicht als Beleg für die aktuellen Verhältnisse, aber als Grundlage für eine zukunftsgerichtete Prognose dienen. Dementsprechend sind Steuerbescheide nicht nach ihrem jeweiligen Veranlagungszeitraum, sondern jeweils ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses für die Zukunft zu berücksichtigen, bis ein neuerer Steuerbescheid vorliegt.
3. Soweit die Familienversicherung bei Bestehen einer Stammversicherung kraft Gesetzes entsteht und endet, kann die Krankenkasse zwar auch rückwirkend durch Bescheid feststellen, dass eine Familienversicherung in der Vergangenheit nicht bestanden hat, ohne die aus den §§ 45, 48 Abs 1 SGB X folgenden Einschränkungen beachten zu müssen. Dies gilt aber nicht, wenn (wie vorliegend) bestandskräftige Verwaltungsakte über den Versicherungsstatus der Versicherten ergangen sind.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 4. Mai 2017 abgeändert und der Tenor wie folgt neu gefasst:
„Der Bescheid der Beklagten vom 10. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2016 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagten festgestellt haben, dass die Versicherte ab dem 7. März 2014 nicht familienversichert ist. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 2016 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.“
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 2.665,44 € festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die verstorbene Ehefrau des Klägers vom 7. März 2014 bis 31. Juli 2015 beitragsfrei familienversichert oder freiwilliges Mitglied der Beklagten zu 1 war und daher der Beitragspflicht unterlag.
Der am ... September 1962 geborene Kläger ist pflichtversichertes Mitglied der Beklagten zu 1. Seine 1954 geborene und 2015 verstorbene Ehefrau (Versicherte) war als selbstständig Tätige (Betreiberin eines Schulkiosks) seit Mai 2012 freiwilliges Mitglied der Beklagten zu 1 und Pflichtmitglied der Beklagten zu 2.
Im April 2014 beantragte der Kläger die Durchführung einer Familienversicherung für seine Ehefrau ab 7. März 2014. In dem ihm übersandten Formular gab er unter dem 26. April 2014 an, seine Ehefrau sei seit 1. Januar 2001 selbstständig tätig. Die wöchentliche Arbeitszeit betrage weniger als 18 Stunden; aus dieser Tätigkeit erziele sie durchschnittliche Bruttoeinnahmen von monatlich 247,33 €. Weitere Einkünfte seiner Ehefrau gab er nicht an. Er legte den Einkommensteuerbescheid für 2012 vom 3. März 2014 vor, der Einkünfte der Versicherten aus Gewerbebetrieb in Höhe von 2.968,00 € ausweist. Mit Schreiben vom 15. Mai 2014 kündigte die Versicherte ihre freiwillige Mitgliedschaft bei der Beklagten zu 1.
Mit Schreiben vom 20. Mai 2014 bestätigte die Beklagte zu 1 gegenüber der Versicherten die Beendigung ihrer am 15. Mai 2012 begonnenen Mitgliedschaft zum 6. März 2014, da sie seit dem 7. März 2014 familienversichert sei. Gleichzeitig ende mit diesem Datum auch die Pflegeversicherung. Das Beitragsguthaben in Höhe von 126,47 € werde erstattet. Mit Schreiben vom 21. Mai 2014 führte die Beklagte zu 1 gegenüber dem Kläger u.a. folgendes aus: „Ein umfassender Kranken- und Pflegeversicherungsschutz im Rahmen der ...-Familienversicherung besteht für (Versicherte), (geb. … 1954) seit 7. März 2014. Wegen der ...-Gesundheitskarte schreiben wir Sie in den nächsten Tagen separat an. Bitte teilen Sie uns alle Änderungen mit, die Auswirkungen auf die Familienversicherung haben können. Dazu gehören unter anderem der Beginn einer eigenen Mitgliedschaft, jede Änderung des Familienstandes sowie Änderungen in den Einkommensverhältnissen Ihres versicherten Angehörigen.“
Anlässlich der nachfolgenden Überprüfung der Familienversicherung gab der Kläger in dem ihm übersandten Formular unter dem 30. Mai 2015 an, die Versicherte verfüge seit 1. März 2014 über Einkünfte aus geringfügiger Beschäftigung in Höhe von monatlich 335,00 € und erziele aus selbstständiger Tätigkeit einen monatlichen Gewinn in Höhe von 134,33 €. Hierzu legte er den Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 4. Februar 2015 vor.
Mit Bescheid vom 10. Juni 2015 teilte die Beklagte zu 1 - zugleich für die Beklagte zu 2 - der ...