Entscheidungsstichwort (Thema)
Fremdrentenrecht. Kürzung der Entgeltpunkte. Qualifikationsgruppeneinstufung eines Musikleiters. Rentenberechnung. Entgeltpunkte Ost. gewöhnlicher Aufenthalt. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zur Einordnung eines Musikleiters an einer örtlichen Musikfachschule in der ehemaligen Sowjetunion in eine Qualifikationsgruppe nach Anl 13 zum SGB 6.
Orientierungssatz
1. Die Einstufung in Qualifikationsgruppe 2 der Anl 13 SGB 6 setzt nicht für Zeiten davor das Erreichen einer höheren Qualifikationsgruppe als 5 voraus.
2. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes iSd Art 6 § 4 Abs 6 FANG ist nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen zu beurteilen. Danach ist entscheidend, ob der Betroffene den örtlichen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Beitrittsgebiet hatte. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Auf den Domizilwillen des Betroffenen kommt es dabei nicht an (vgl LSG Essen vom 29.8.2011 - L 3 R 454/10).
3. Die Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 FANG verstößt nicht gegen Art 3 GG (vgl BSG vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R = SozR 4-1200 § 30 Nr 6).
4. Die durch das FRG begründeten Rentenanwartschaften unterliegen nicht dem Schutz des Art 14 Abs 1 S 1 GG, wenn ihnen ausschließlich Beitrags- und Beschäftigungszeiten zu Grunde liegen, die in den Herkunftsgebieten erbracht oder zurückgelegt worden sind. (vgl BVerfG vom 13.6.2006 - 1 BvL 9/00 = BVerfGE 116, 96 = SozR 4-5050 § 22 Nr 5).
5. Die durch § 22 Abs 4 FRG idF des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (juris: WFG) vom 25.9.1996 (BGBl I 1996, 1461) erfolgte Absenkung der auf dem FRG-Gesetzen beruhenden Entgeltpunkte ist auch dann nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden, wenn die Rentenanwartschaften, die auf rentenrechtlichen Zeiten sowohl in den Herkunftsgebieten als auch in der Bundesrepublik Deutschland beruhen, als Gesamtrechtsposition insgesamt dem Schutz des Art 14 Abs 1 GG zu unterstellen wären (vgl BVerfG vom 13.6.2006 - 1 BvL 9/00 aaO).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 25. März 2010 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer höheren Hinterbliebenenrente.
Die 1949 in der ehemaligen Sowjetunion geborene Klägerin ist die Witwe des ebenfalls in der Sowjetunion geborenen V. K. Er verstarb am 06.02.1994 im Alter von 50 Jahren in Russland. Die als Spätaussiedlerin nach § 4 Bundesvertriebenengesetz anerkannte Klägerin kam am 24.07.2000 in die Bundesrepublik Deutschland, nachdem ihr über einen Zwischenbescheid vom 23.10.1998 des Bundesverwaltungsamtes Köln mitgeteilt worden war, den Aufnahme-/Einbeziehungsbescheid erst nach Zustimmung eines Bundeslandes erteilen zu können und daher ihr Antrag mit der Bitte um Zustimmung dem Land Sachsen zugeleitet worden sei. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Erstaufnahmestelle in Friedland/Niedersachsen erfolgte die Zuweisung durch das Regierungspräsidium Chemnitz mit Bescheid vom 28.07.2000 an den Landkreis/die kreisfreie Stadt M. Mit Aufnahme- und Gebührenbescheid des Landratsamtes M. vom 11.08.2000 wurde die Klägerin zusammen mit ihrem 1986 geborenen Sohn im Übergangswohnheim K., OT H., untergebracht. Vom 12.08.2000 bis 20.01.2001 bezog sie Eingliederungshilfe über die Agentur für Arbeit Chemnitz und vom 21.01.2001 bis 30.04.2001 Hilfe zum Lebensunterhalt (Landratsamt M.). Laut Anmeldebestätigung vom 19.07.2001 war die Klägerin am 01.08.2001 nach W. im E., Baden-Württemberg, umgezogen.
Bereits am 28.11.2000 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes. Im Kontenklärungsverfahren hatte sie angegeben, dass der Versicherte schon von 1959 bis August 1963 gearbeitet habe, hierfür jedoch keine Nachweise vorhanden seien. Er habe vom 01.09.1959 bis August 1963 den Abschluss bzw. die Zuerkennung als Musikleiter in der Kulturfachschule T. erworben. In der Zeit vom 23.09.1963 bis 06.02.1994 habe er als musikalischer Leiter im örtlichen “Haus der Kultur„ gearbeitet. In den beiden vorgelegten Zeugenerklärungen wird die Tätigkeit als musikalischer Leiter vom 23.09.1963 bis 06.02.1994 bestätigt. Der Versicherte habe Chöre, Orchester, Tanz- und Laienkunstgruppen geleitet und Musikunterricht erteilt.
Mit Rentenbescheid vom 19.03.2001 bewilligte die Beklagte eine große Witwenrente ab dem 24.07.2000 (monatlich 527,23 DM). Bei der Rentenberechnung berücksichtigte sie glaubhaft gemachte Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) in der ehemaligen Sowjetunion nach der Qualifikationsgruppe 5, Bereich 20 der Anlage 14 zum SGB VI (Sechstes Buch Sozialgesetzbuch) in der Zeit vom 23.09.1963 bis 22.09.1973 sowie in der Qualifikationsgruppe 4, Bereich 20 der Anlage 14 im Zeitraum vom 23.09.1973 bis 06.02.1994, jeweils mit einer Anrechnung zu 5/6. Für den gesamten Zeitraum legte...