Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeldanspruch. Bemessungsentgelt. fiktive Bemessung. echter Grenzgänger. Nichtberücksichtigung des in der Schweiz erzielten Arbeitsentgeltes. letzte Beschäftigung im Inland. Europarechtskonformität. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Das Arbeitslosengeld eines Arbeitnehmers, der als echter Grenzgänger in der Schweiz gearbeitet hat, danach aber zunächst für weniger als 150 Tage in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, bevor er sich arbeitslos gemeldet hat, wird nach § 132 Abs 1 SGB 3 fiktiv nach der beruflichen Qualifikation des Arbeitnehmers ohne Berücksichtigung des in der Schweiz erzielten Entgelts berechnet.
2. Diese Rechtslage entspricht Art 68 Abs 1 EWGV 1408/71 des Rates vom 14.6.1971 (Wanderarbeitnehmerverordnung). Sie ist mit den Grundrechten des Arbeitslosen vereinbar. Insbesondere verstößt es nicht gegen Art 3 Abs 1 GG, dass das Arbeitslosengeld solcher Grenzgänger, die sich unmittelbar nach dem Ende ihrer Beschäftigung in der Schweiz arbeitslos melden, unter Berücksichtigung des dort erzielten Entgelts berechnet wird.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 25. August 2010 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsrechtszug nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt höheres Arbeitslosengeld (Alg). Rechtlich streiten die Beteiligten darum, ob bei der Berechnung des Alg auch die Einkünfte des Klägers aus einer vorherigen Erwerbstätigkeit in der Schweiz zu berücksichtigen sind.
Der 1959 geborene Kläger ist gelernter Bankkaufmann. Er war von September 1981 bis Juli 2000 bei der Sparkasse A. und im Anschluss von August 2000 bis zum 30.05.2002 als Sekretär bzw. Buchhalter bei einer Privatschule in der Schweiz beschäftigt. In der Folgezeit bezog er mit Unterbrechungen Alg, wobei die Beklagte bei der Berechnung der Leistungen das in der Schweiz erzielte Einkommen (damals CHF 1.200,00 wöchentlich) zu Grunde legte, und im Anschluss bis zum 03.12.2004 Arbeitslosenhilfe. Im Anschluss war er arbeitslos bzw. arbeitsunfähig erkrankt.
Ab dem 10.07.2006 war der Kläger als Verkäufer in einem Möbelhaus in der Schweiz bei der schweizerischen Tochter eines internationalen Konzerns beschäftigt. Er bezog einen Monatslohn von zuletzt CHF 4.700,00. Es war bei der schweizerischen Arbeitslosenversicherung (Unia Arbeitslosenkasse) versichert. Während dieser Zeit behielt der Kläger seinen alleinigen Wohnsitz in Deutschland. Mit Schreiben vom 02.06.2009 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 31.08.2009 und stellte den Kläger “per sofort„ von Arbeitseinsätzen frei. Der Kläger nahm daraufhin ab dem 03.08.2009 ein bis zum 02.11.2009 befristetes Arbeitsverhältnis als Briefzusteller bei der Deutschen Post AG auf, sein Einsatzort lag in Deutschland, sein Monatsgehalt betrug € 1.864,99. Die Post kündigte dieses Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 02.09.2009 zum 18.09.2009.
Am 15.09.2009 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 19.09.2009 arbeitslos und beantragte Alg. Er legte Arbeitsbescheinigungen der Post und des schweizerischen Möbelhaus sowie die Bescheinigung E 100 der Unia Arbeitslosenkasse vom 03.11.2009 vor.
Mit Bescheid vom 11.11.2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf Alg für die Zeit vom 19. bis 22.09.2009 ab. Der Kläger habe für diese vier Tage noch Urlaubsabgeltung von seinem letzten Arbeitgeber zu erhalten, in dieser Zeit ruhe sein Leistungsanspruch.
Mit weiterem Bescheid vom 12.11.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg ab dem 23.09.2009 für 450 Tage (bis zum 22.12.2010) mit einem täglichen Leistungssatz von € 29,68 (Bemessungsentgelt € 67,20 täglich, Lohnsteuerklasse I). In einem Begleitschreiben vom 11.11.2009 teilte sie dem Kläger mit, er habe in den letzten zwei Jahren weniger als 150 Tage Anspruch auf Arbeitsentgelt “in Deutschland„ gehabt, daher werde bei der Bemessung seines Alg ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde gelegt. Dieses richte sich nach der für den Kläger in erster Linie geeigneten Beschäftigung und der dazu gehörenden Qualifikationsstufe. Der Kläger sei für eine Tätigkeit als Verkäufer geeignet. Hierfür sei eine Ausbildung erforderlich. Der Kläger sei daher in Qualifikationsstufe 3 einzuordnen.
Am 25.11.2009 legte der Kläger Widerspruch (nur) gegen den Bescheid vom 12.11.2009 ein. Er rügte den Zahlbetrag von € 890,40 im Monat. Er meinte, er habe einen Anspruch auf eine Berechnung seines Alg nach Maßgabe des in der Schweiz erzielten Verdienstes. Sein Arbeitsverhältnis in der Schweiz habe bis zum 31.08.2009 bestanden, bis zu diesem Tag habe er sein Gehalt von CHF 4.700,00 bezogen und seien Beiträge zur schweizerischen Arbeitslosenversicherung abgeführt worden. Dass er zusätzlich ab dem 03.08.2009 bei der Post in Deutschland gearbeitet habe, könne hieran nichts ändern. Es sei hier nach Art. 68 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 (“Wanderarbeitnehmerverordnung„, im Folgenden: “VO„) von einer Inlandsbeschäftigung von weniger ...