Entscheidungsstichwort (Thema)
Freiwillige Krankenversicherung. Beitragspflicht. Einnahme. Frühruhestandsgeld
Leitsatz (amtlich)
Das ""Frühruhestandsgeld"", das ein Energieversorgungsunternehmen ausgeschiedenen Mitarbeitern, die freiwillig versicherte Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung sind, zahlt, unterliegt als sonstige Einnahme in voller Höhe der Beitragspflicht.
Eine wesentliche Änderung ist nicht durch die Änderung des § 240 SGB V durch das GKV-WSG mit Wirkung zum 1. Januar 2009 eingetreten, weil nunmehr die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen und nicht mehr durch die einzelne Krankenkasse durch Satzung geregelt wird, weshalb die zunächst nur teilweise Berücksichtigung des ""Frühruhestandsgelds"" als Abfindung bei der Festsetzung der Beiträge nicht geändert werden kann.
Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG Stuttgart vom 22.07.2011 - L 4 KR 5088/10, das vollständig dokumentiert ist.
Normenkette
SGB V § 240 Abs. 1 S. 1, § 229 Abs. 1 S. 1, § 239; SGB IV § 14 Abs. 1 S. 1; BetrAVG § 1; SGB X § 48 Abs. 1 S. 1, §§ 45, 43 Abs. 1; SGG § 96 Abs. 1, § 123
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 28. September 2010 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 19. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Dezember 2009 und der Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2010 werden aufgehoben, soweit die Beklagte Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung ab 1. Juli 2009 von mehr als € 120,12 und vom 1. Januar bis 31. August 2010 von mehr als € 121,79 festgesetzt hat.
Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligen ist im Berufungsverfahren noch die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung in der Zeit vom 1. Juli 2009 bis 31. August 2010 streitig.
Der am 1950 geborene Kläger war 20 Jahre und neun Monate bei einem Energieversorgungsunternehmen (im Folgenden E-AG) beschäftigt. Zum 1. Januar 2006 versetzte ihn die E-AG in den "Frühruhestand" und zahlte ihm vom 1. Januar 2006 bis 31. August 2010 ein "Frühruhestandsgeld". Seit 1. September 2010 bezieht der Kläger eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung. Für den "Frühruhestand" und die Berechnung des "Frühruhestandsgelds" fand die Betriebsvereinbarung der Neckarwerke Stuttgart AG (NWS), einer Rechtsvorgängerin der E-AG, Anwendung. Nach § 2 Nr. 1 Satz 2 dieser Betriebsvereinbarung endet mit der Versetzung in den "Frühruhestand" das Arbeitsverhältnis. Nach § 7 Nr. 1 dieser Betriebsvereinbarung ist der Frühpensionär u.a. verpflichtet, sich arbeitslos zu melden und Arbeitslosengeld zu beantragen sowie auch zum frühestmöglichen Zeitpunkt einen Antrag auf Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung zu stellen. § 4 dieser Betriebsvereinbarung bestimmt für das "Frühruhestandsgeld":
§ 4 Frühruhestandsgeld
Der Frühpensionär erhält während des Frühruhestandes eine Abfindung als Frühruhestandsgeld nach folgenden Bestimmungen:
1. Die Höhe des Vorruhestandsgeldes umfasst
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- 70 % des 1,1 fachen der beim Ausscheiden erreichten Tabellenvergütung; |
- 70 % der beim Ausscheiden des Mitarbeiters gültigen tariflichen Familienzulagen; |
- 70 % der Schichtzulage im Durchschnitt der letzten 12 Monate, wenn der Mitarbeiter zum Zeitpunkt des Ausscheidens mindestens 10 Jahre ununterbrochen im Schichtdienst gearbeitet hat; |
- 70 % von 1/12 des beim Ausscheiden gültigen tariflichen Urlaubsgeldes; |
- 70 % der vor dem Ausscheiden gezahlten Leistungs- und Umstellungszulage. |
2. Auf das Frühruhestandsgeld wird angerechnet der Zahlbetrag des Arbeitslosengeldes (§ 122 AFG oder des Krankengeldes (§§ 155, 158 AFG i. V. m. §§ 44 ff. SGB V).
3. Einkünfte aus Nebentätigkeiten im Rahmen des § 115 AFG werden nicht auf das Frühruhestandsgeld angerechnet; solche Einkünfte mindern im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen die Höhe des Arbeitslosengeldes; die NWS gleicht diese Minderung nicht aus.
4. Die NWS teilt dem Frühpensionär den Betrag des Frühruhestandsgeldes durch schriftlichen Bescheid mit.
5. Die Abfindung wird in monatlichen Beträgen gezahlt und hinsichtlich Fälligkeit und Zahlungsweise behandelt wie die Monatsvergütung der aktiven Mitarbeiter.
6. Das Frühruhestandsgeld erhöht sich bei allgemeinen Tariferhöhungen entsprechend dem Prozentsatz, um den sich die monatliche Tabellenvergütung in der Anfangsstufe der Vergütungsgruppe 4 erhöht. Stufenvorrückungen finden während des Frühruhestandes nicht statt.
Das dem Kläger gezahlte "Frühruhestandsgeld" betrug nach den von ihm vorgelegten (Entgelt)Bescheinigungen der E-AG brutto ab 1. Januar 2006 € 2.378,90, ab 1. April 2006 € 2.547,94, ab 1. März 2007 € 2.593,80, ab 1. April 2008 € 2.706,63, ab 1. Mai 2009 € 2.804,07 und ab 1. April 2010 € 2.860,15. In den dem Kläger erteilten Bescheinigungen vom 3. Januar 2006 und 30. August 2007 bezifferte die E-AG die Gesamtabfindung mit ei...