Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Feststellung des Grads der Behinderung. Diabetes mellitus. Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Heranziehung neuerer Bewertungskriterien für die Vergangenheit. Gesundheitsverschlechterung. wesentliche Änderung der Verhältnisse. Ausführungsbescheid zu einem Vergleich. konkludente Abbedingung der Anpassungsmöglichkeit. Verwaltungsakt. Regelungscharakter. sozialrechtliches Verwaltungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Auf einen in Ausführung eines Vergleichs ergangenen Ausführungsbescheid kann im Falle einer Gesundheitsverschlechterung die Regelung des § 48 SGB 10 anwendbar sein, wenn in einem Vergleich in den üblichen durch Verwaltungsakt geregelten Materien - wie bei der Feststellung des GdB - konkludent die Anwendung des eine Anpassung eines Vergleichsvertrages regelnden § 59 SGB 10 abbedungen wird und nichts dafür spricht, dass der Einigung eine höhere Bestandskraft zukommen soll.
2. Da die AHP, Teil A, Nr 26.15 und die VG, Teil B, Nr 15.1 in der Fassung vom 10.12.2008, in Kraft getreten am 1.1.2009, nicht zur GdB-Bewertung bei Diabetes mellitus geeignet sind, kann auch für die Zeit vor dem 22.7.2010 auf die Neufassung der VG, Teil B, Nr 15.1 in der Fassung vom 14.7.2010, in Kraft getreten am 22.7.2010, zurückgegriffen werden, da ihr Inhalt als antizipiertes Sachverständigengutachten bedeutsam ist (Anschluss an BSG vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R = juris RdNr 32).
Orientierungssatz
Jeder Ausführungsbescheid, mit dem die Sozialverwaltung einen gerichtlichen Vergleich umsetzt, hat einen Regelungscharakter iS des § 31 SGB 10 (Abweichung zu BSG vom 18.9.2003 - B 9 V 82/02 B und vom 6.5.2010 - B 13 R 16/09 R = SozR 4-1300 § 48 Nr 19). Durch den Erlass des Ausführungsbescheids erledigt sich der Vergleich analog § 39 Abs 2 SGB 10 auf sonstige Weise.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. November 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Klägers sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit 50 streitig.
Im Rahmen eines beim Sozialgericht Stuttgart anhängig gewesenen Klageverfahrens (S 18 SB 3552/06) hatten der 1960 geborene Kläger und der Beklagte unter Zugrundelegung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G., in der ein Bluthochdruck mit einem Einzel-GdB von 20, eine Gicht mit Gelenkbeteiligung, eine Gebrauchseinschränkung beider Beine sowie eine Lymphstauung beider Beine mit einem Einzel-GdB von 20, eine Lungenblähung mit einem Einzel-GdB von 10, eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10, ein Diabetes mellitus und eine chronische Entzündung der Bauchspeicheldrüse mit einem Einzel-GdB von 20 sowie eine Schwerhörigkeit mit einem Einzel-GdB von 20 berücksichtigt und der Gesamt-GdB mit 40 beurteilt worden war, am 23.01.2007/27.02.2007 einen Vergleich des Inhalts geschlossen, dass der GdB 40 ab 21.04.2005 betrage. In Ausführung dieses Vergleichs hatte der Beklagte mit Bescheid vom 02.04.2007 den GdB mit 40 seit 21.04.2005 festgestellt.
Der Kläger beantragte am 03.07.2008 unter Hinweis auf einen im August 2007 erlittenen Herzinfarkt die Neufeststellung des GdB. Der Beklagte holte Befundberichte der Allgemeinmedizinerin Dr. I. (Verschlechterung des Krankheitsbildes) sowie des Hals-Nasen-Ohren-Arztes L. (unveränderter Befund) ein und zog diverse ärztliche Unterlagen bei. Dr. L. berücksichtigte in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme nunmehr einen Bluthochdruck, einen abgelaufenen Herzinfarkt und eine Stent-Implantation mit einem Einzel-GdB von 20 sowie eine Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen und einen Schwindel mit einem Einzel-GdB von 20 und hielt im Übrigen an der bisherigen versorgungsärztlichen Beurteilung fest. Mit Bescheid vom 29.04.2009 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab.
Hiergegen legte der Kläger unter Hinweis auf Schmerzen, Schwindel und Herzminderleistung Widerspruch ein. Dr. K. bestätigte in einer versorgungsärztlichen Stellungnahme die bisher vorgenommene GdB-Bewertung. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 30.07.2009 Klage beim Sozialgericht erhoben. Das Sozialgericht hat die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und ärztliche Unterlagen beigezogen. Der Internist Dr. Sch. hat über eine einmalige Behandlung des Diabetes mellitus berichtet und sich für sein Fachgebiet der versorgungsärztlichen GdB-Beurteilung angeschlossen. Der Kardiologe Dr. W. hat ein unauffälliges EKG bei 150 Watt Belastbarkeit sowie eine gute linksventrikuläre Funktion berichtet und ausgeführt, über die versorgungsärztlich vorgenommene GdB-Beurteilung für das kardiologische Fachgebiet würde er nicht hinausgehen. Der Gastroenterologe Dr. H. hat über eine einmalige Behandlung wegen Bauchschmerzen berichtet (metabolisches Syndrom bei ausgeprägter A...