Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bei Entsendung und Einstrahlung
Orientierungssatz
1. Eine Entsendebescheinigung des ausländischen Sozialversicherungsträgers bindet den zuständigen Träger und die Gerichte des Staates, in den die Arbeitnehmer entsandt worden sind, nur solange sie nicht von den Behörden des Ausstellungsstaates zurückgezogen oder für ungültig erklärt wurde.
2. Kann auf eine gültige Entsendebescheinigung nicht zurückgegriffen werden, so liegt nach dem Entsendeabkommen mit Polen eine Entsendung nur vor, wenn der Arbeitsvertrag zwischen dem Arbeitnehmer und dem polnischen Tochterunternehmen besteht und sich der arbeitsvertragliche Geldanspruch gegen dieses Tochterunternehmen richtet.
3. Ein Fall der Einstrahlung nach § 5 SGB 4 liegt nur vor, wenn ein ausländischer Betrieb Arbeitnehmer an eine inländische Zweigniederlassung entsendet, die Arbeitnehmer in den Betrieb der Zweigniederlassung eingegliedert sind und von ihr das Arbeitsentgelt erhalten.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Juni 2005 wird aufgehoben.
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Antragsstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird für beide Instanzen auf jeweils 17.454,73 € festgesetzt.
Gründe
I.
Zum Sachverhalt wird auf die Darstellung im angegriffenen Beschluss des Sozialgerichts Berlin (SG) verwiesen. Die Klage gegen die polnische Verbindungsstelle (ZUS) ist nach wie vor, vor dem Bezirksgericht in Wroclaw rechtshängig.
II.
Die gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 173 SGG) und damit insgesamt zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Nach § 86a Abs.1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese Wirkung entfällt bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten (§ 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG). Hier handelt es sich um einen Prüfbescheid gemäß § 28p Sozialgesetzbuch 4. Buch (SGB IV), mit dem die Antragsgegnerin Beiträge geltend macht. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann jedoch das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG durch Beschluss die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Es handelt sich um eine gerichtliche Interessenabwägung nach pflichtgemäßem Ermessen, bei welcher die für und gegen einen Sofortvollzug sprechenden Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen sind.
Eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kommt in der Regel nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn seine Vollziehung für den betroffenen Zahlungspflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Anhaltspunkte für eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte als Folge der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Prüfungs- und Beitragsnachforderungsbescheides nach § 28p SGB IV sind nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
Durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Festsetzungen der Antragsgegnerin bestehen ebenfalls nicht. Nach Auffassung des Senats wird das Hauptsacheverfahren für die Antragstellerin voraussichtlich ohne Erfolg enden. Die Interessenabwägung fällt deshalb zu ihren Ungunsten aus.
Es sind nach § 3 Nr. 1 SGB IV die deutschen Vorschriften über die Versicherungspflicht anzuwenden, weil die Arbeitnehmer der Antragstellerin im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches beschäftigt gewesen sind:
Es ist nicht ersichtlich, dass aufgrund der Vorschriften des nach § 6 SGB IV vorrangigen damals gültigen Abkommens vom 25. 4. 1973 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über die Sozialversicherung von Arbeitnehmern, die in das Gebiet des anderen Staates vorübergehend entsandt werden (BGBl II 1974, 926; Entsendeabkommen), entgegen der Annahme der Antragsgegnerin keine normale Versicherungspflicht der Antragstellerin bestanden hat.
Es gibt nämlich keine (gültigen) Entsendebescheinigungen “D/Pl 101„, welche bescheinigen würden, die Arbeitnehmer der Antragstellerin hätten gemäß Art. 4 oder 6 des Entsendeabkommens nur der polnischen Sozialversicherung unterlegen.
Eine derartige Bescheinigung bindet den zuständigen Träger und die Gerichte des Staates, in den die Arbeitnehmer entsandt worden sind, (nur) solange sie nicht von den Behörden des Ausstellungsstaates zurückgezogen oder für ungültig erklärt wurde, vgl. Urteil des EuGH vom 26. Januar 2006 in der Rechtssache C - 2/05 Rdnr. 33 zur entsprechenden Bescheinigung E 101.
Eine solche Situation einer ungültigen Entsendebescheinigung liegt hier vor: Die von der polnischen Verbindungsstelle ZUS (Sozialversicherungsanstalt, Abteilung in Wroclaw) ausgestellten Entsendebescheinigungen sind (vom Vorgang her unstreitig) von der ZUS am 2. 12. 2002 annulliert worden. Ausweisli...