Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Klagefrist. Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung. Verwirkung. Verzicht auf Rechtsbehelfsbelehrung nicht möglich. Rentenversicherungspflicht. kaufmännischer Angestellter in einer Familiengesellschaft. abhängige Beschäftigung. selbständige Tätigkeit. Abstimmungsverfahren zwischen Einzugsstelle und Rentenversicherungsträger
Orientierungssatz
1. Zur Beurteilung der Frage, ob die Rechtsbehelfsbelehrung als richtig oder unrichtig anzusehen ist, kommt es allein auf den objektiven Inhalt der Belehrung an und nicht auf die Person des Adressaten. Ob er durch die fehlerhafte Belehrung irregeführt wurde und deshalb die Frist versäumt hat, ist ohne rechtliche Bedeutung. Die Rechtsbehelfsbelehrung ist schon dann unrichtig iS von § 66 Abs 2 Satz 1 SGG, wenn auch nur die abstrakte Möglichkeit eines Irrtums bei dem Adressaten besteht (vgl BSG vom 25.1.1984 - 9a RV 2/83).
2. Die Verwirkung ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung. Bloßer Zeitablauf genügt nicht. Es müssen besondere Umstände (Zeit- und Umstandsmoment) hinzutreten, die die späte Klageerhebung oder Rechtsmitteleinlegung als missbräuchlich erscheinen lassen. Insofern findet Verwirkung Berücksichtigung, wenn der Berechtigte gewusst hat oder hätte wissen müssen, dass die Klage oder das Rechtsmittel möglich war und - bezogen auf den vorliegenden Sachverhalt - der Beigeladene darauf vertraut hat und vertrauen durfte, dass die Klägerin ihr Recht nicht mehr geltend machen werde und dass die Geltendmachung wegen unzumutbarer Nachteile gegen Treu und Glauben verstößt.
3. § 36 SGB 10 schreibt für Verwaltungsakte eine Rechtsmittelbelehrung zwingend vor. Auf dieses Recht kann nicht einseitig oder einverständlich wirksam verzichtet werden.
4. Zur Rentenversicherungspflicht eines als kaufmännischer Angestellter beschäftigten Familienangehörigen in einer Familiengesellschaft.
5. Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundessozialgerichts: Nachdem die Klage vor dem BSG zurückgenommen wurde, ist dieses Urteil sowie das vorinstanzliche Urteil des SG Berlin wirkungslos.
Normenkette
SGG § 66 Abs. 1, 2 S. 1, § 78 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 87 Abs. 1 S. 1; SGB IV § 7 Abs. 1; SGB VI § 1 S. 1 Nr. 1; SGB X § 31
Tenor
Die Berufung des Beigeladenen zu 1) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2008 insoweit aufgehoben wird, als die Beklagte festgestellt hat, dass der Beigeladene zu 1) seit dem 1. November 1999 aufgrund der Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) nicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist.
Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im Streit ist die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1) in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Gegenstand der unternehmerischen Tätigkeit der 1989 gegründeten Beigeladenen zu 2) ist der An- und Verkauf von Reifen jeder Art, die Montage von Reifen, Dienstleistungen jeder Art, die im Zusammenhang mit dem Handel und der Montage von Reifen anfallen, sowie der Handel mit Kfz-Zubehörteilen und die hiermit verbundenen Dienstleistungen. Gesellschafter und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der Beigeladenen zu 2) ist W H, der Vater des Beigeladenen zu 1) mit 49 v. H. der Anteile am Stammkapital der Gesellschaft. Weiterer Gesellschafter mit einem Anteil vom 51 v.H. am Stammkapital der Gesellschaft ist Herr E H, der Onkel des Beigeladenen zu 1).
Der Beigeladene zu 1) ist gelernter Industriekaufmann. Die Berufsausbildung schloss er im Jahre 1998 ab. Am 1. November 1999 nahm er bei der Beigeladenen zu 2) auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 1. November 1999 eine Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter auf. Nach § 2 Satz 1 dieses Arbeitsvertrages ist Aufgabe des “Arbeitnehmers die eigenständige Leitung des Großhandels.„ Nach § 2 Satz 2 des Vertrages “zählen hierzu Einkauf und Vertrieb von Pkw- und Motorradreifen, Außendienst und Personalentscheidungen. Für die Kündigung des Arbeitsvertrages gilt die gesetzliche Kündigungsfrist.„ 3.500,- DM wurden als “Monatsgehalt„ vereinbart. In § 3 des Arbeitsvertrages vereinbarten die Vertragsparteien einen Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen. Den Urlaubszeitpunkt darf der Beigeladene zu 1) selbst festlegen. Nach § 4 des Arbeitsvertrages soll “das Vertragsverhältnis spätestens zum Ende des Monats, in dem der Arbeitnehmer sein 65. Lebensjahr vollendet oder in welchem dem Arbeitnehmer der Rentenbescheid des gesetzlichen Versicherungsträgers über die Gewährung des vorgezogenen Altersruhegeldes oder der Erwerbsunfähigkeitsrente zugegangen ist„, enden.
Im Januar 2008 beantragte der Beigeladene zu 1) bei der Beklagten die Feststellung seines versicherungsrechtlichen Status in seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) und die Erstattung der entrichteten Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung. Mit Bescheid vom 24. Januar 2008 stellte die Beklagte fest, dass der Beigeladene zu 1) “ab dem 1. 1. 1999 in kei...