Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. Übernahme der Kosten einer Arbeitsassistenz für die berufliche Weiterbildung. behinderungsbedingte Erforderlichkeit ohne Vorliegen von Arbeitslosigkeit. berufliche Neuorientierung. Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. psychologischer Psychotherapeut
Orientierungssatz
1. Nach § 116 Abs 1 und Abs 5 S 1 Nr 1 SGB 3 kann eine berufliche Weiterbildung auch dann gefördert werden, wenn behinderte Menschen nicht arbeitslos sind. Die berufliche Weiterbildung muss aber behinderungsbedingt erforderlich sein.
2. Eine berufliche Neuorientierung ist dann als behinderungsbedingt anzusehen, wenn die angestrebte neue, auf Dauer angelegte Beschäftigung, dem durch die Behinderung eingeschränkte Leistungsvermögen des behinderten Menschen besser entspricht, so dass seine Wettbewerbssituation im Verhältnis zu nichtbehinderten Arbeitnehmern verbessert wird.
3. Die Übernahme der notwendigen Kosten einer Arbeitsassistenz für die berufliche Weiterbildung für schwerbehinderte Menschen ist ein in § 49 Abs 3 und Abs 8 S 1 SGB 9 2018 nicht näher konkretisierter Fall einer sonstigen Hilfe zur Förderung der Teilnahme am Arbeitsleben iS des § 49 Abs 3 Nr 7 SGB 9 2018.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. März 2017 und die Bescheide der Beklagten vom 24. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Mai 2015 geändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Weiterbildung zur psychologischen Psychotherapeutin Kosten einer Arbeitsassistenz zu gewähren.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die 1988 geborene Klägerin ist von Geburt an blind. Sie hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 inne; ferner liegen bei ihr die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G, H, BL und RF vor. Die Klägerin beendete im September 2014 das Studium der Psychologie mit einem Abschluss als Master. Im Rahmen ihrer über das Ausbildungsinstitut der Berliner Fortbildungsakademie organisierten Weiterbildung zur psychologischen Psychotherapeutin leistete sie in der Zeit vom 1. Mai 2015 bis 31. Oktober 2016 eine praktische Tätigkeit (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 Psychotherapeutengesetz - PsychThG -) am Städtischen Klinikum D ab. Seit 1. November 2016 setzt die Klägerin diese Ausbildung fort, wobei sie Wochenendseminare absolviert und - unter Aufsicht von Supervisoren - Patienten behandelt. Bis Oktober 2018 sind von ihr 280 der für die Ausbildung erforderlichen 600 Stunden Therapie ambulanter Patienten geleitstet worden. Ihren Lebensunterhalt finanziert sie derzeit mit einer versicherungspflichtigen 20 (bzw. ab 1. März 2019 15)-Stunden-Teilzeitstelle als Sozialarbeiterin; ferner arbeitet sie zusätzlich alle zwei Wochen auf Honorarbasis als psychologische Beraterin bei einem Bildungsträger für schwer behinderte Menschen.
Die Klägerin stellte bereits am 17. Dezember 2014 bei der Beklagten einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben und gab an, wegen ihrer Behinderung zur Berufsausübung technische Arbeitshilfen zu benötigen, d. h. PC-Hardware und PC-Software. Ferner beantragte sie mit nicht datiertem Schreiben die Kosten für eine Arbeitsassistenz (7,5 Stunden wöchentlich bzw. 30 Stunden monatlich) zu übernehmen, damit sie z. B. diagnostische Tests zur Feststellung psychischer Störungen durchführen könne. Sie benötige ferner Hilfe bei der Orientierung in fremder Umgebung, der Aufbereitung des Inhalts von Fachbüchern sowie beim Deuten nonverbaler Signale von Patienten während der Behandlung.
Mit Bescheid vom 18. Dezember 2014 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin grundsätzlich Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben gem. § 19 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) benötige. Mit Bescheid vom 24. März 2015 lehnte die Beklagte den Antrag auf Förderung einer technischen Arbeitshilfe vom 17. Dezember 2014 ab und führte aus: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wie die Leistungen der technischen Arbeitshilfen könnten nur zur Erlangung oder Erhaltung eines Arbeitsplatzes gewährt werden (§ 33 Abs. 3 in Verbindung mit § 33 Abs. 8 Sozialgesetzbuch - Rehabilitation wegen Teilhabe behinderter Menschen - SGB IX - in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung [aF]). Ein Arbeitsplatz im Sinne des Gesetzes seien Stellen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses (vgl. § 73 SGB IX aF). Diese Voraussetzungen seien im Fall der Klägerin nicht gegeben. Mit einem weiteren Bescheid vom 24. März 2015 beendete die Beklagte das Verfahren zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufliche Rehabilitation), weil davon auszugehen sei, dass eine dauerhafte Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr in einem absehbaren Zeitraum erreicht werden könne.
Mit Schreiben vom 1. April 2015 übersandte das Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin - Integrationsamt - (IA) der Beklagten Kopien eines Antrages der Klägerin vom 26...