Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Anwendbarkeit des § 44 SGB 10. Nachzahlung von Analogleistungen für vergangene Zeiträume. Aktualitätsprinzip. keine Kürzung wegen nicht mehr bestehendem Bedarf
Leitsatz (amtlich)
Bei rückwirkender Gewährung von Analogleistungen gem § 2 AsylbLG im Anschluss an eine Überprüfung iS von § 44 SGB 10 ist der volle Differenzbetrag zwischen den bereits erbrachten Leistungen und den nach § 2 AsylbLG zustehenden Leistungen auszuzahlen. Abzüge unter dem Gesichtspunkt des Aktualitäts- oder Gegenwärtigkeitsprinzips sind nicht vorzunehmen.
Orientierungssatz
Die Regelung des § 44 SGB 10 zur rückwirkenden Korrektur bestandskräftiger, rechtswidriger Leistungsablehnungen ist im Asylbewerberleistungsrecht anwendbar (Anschluss an BSG vom 17.6.2008 - B 8 AY 5/07 R = SozR 4-3520 § 9 Nr 1).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 18.01.2010 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch für das Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, in welcher Höhe im Anschluss an die Erbringung von Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Folge eines Antrags auf Überprüfung nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) Leistungen entsprechend dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (sog. Analogleistungen) nachzugewähren sind.
Der am 00.00.1992 geborene Kläger ist Roma aus dem Kosovo. Er reiste am 00.02.2004 nach Deutschland ein und bezog seither bis heute ununterbrochen Leistungen nach § 3 AsylbLG. So bezog er etwa in den Monaten März bis Juni 2007 (als dem nach einem im Berufungsverfahren geschlossenen Teilvergleich noch streitigen Zeitraum) Grundleistungen nach § 3 Abs. 2 AsylbLG i.H.v. monatlich 199,40 EUR (entsprechend 390,00 DM = 310,00 DM gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr 3 AsylbLG zzgl. 40,00 DM gem. § 3 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 AsylbLG). Daneben wurden für die Zeit seit dem 17.02.2007 Einzelbeihilfen i.H.v. 100,09 EUR (für Matratze März 2009 = 39,21 EUR, Kleiderschrank März 2009 = 39,38 EUR, Kopfkissen April 2009 = 6,62 EUR und Steppdecke April 2009 = 14,88 EUR) gewährt.
Mit Schreiben vom 04.02.2009 beantragte der Kläger, ihm unter Zurücknahme entsprechender Bewilligungsbescheide nach § 44 SGB X rückwirkend ab dem 01.01.2005 Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren. Er verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17.06.2008 - B 8 AY 5/07 R; eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer seines Aufenthalts in Deutschland liege nicht vor.
Mit Bescheid vom 31.07.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Nachzahlung für die Zeit vom 17.02.2007 bis zum 31.08.2009 i.H.v. 748,45 EUR. Nach § 2 AsylbLG in der seit dem 01.01.2005 geltenden Fassung bedürfe es einer Vorbezugszeit von Leistungen nach § 3 AsylbLG von 36 Monaten, um Leistungen entsprechend dem SGB XII zu erhalten. Eine diesen höheren Anspruch ausschließende rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Dauer des Aufenthalts in Deutschland könne dem Kläger nicht entgegen gehalten werden. Ein 36-monatiger Vorbezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG sei nach Einreise in die Bundesrepublik am 17.02.2004 jedoch erst ab dem 17.02.2007 erfüllt, so dass für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 16.02.2007 Analogleistungen nicht zu gewähren seien. Das BSG sehe, abweichend von früherer Rechtsprechung, § 44 SGB X im Bereich des AsylbLG als anwendbar an. Allerdings habe das Gericht auch festgestellt, dass der Wert bereits erbrachter Leistungen nach § 3 AsylbLG bei den Analogleistungen in Abzug zu bringen sei. Zudem sei der Aktualitätsgrundsatz zu beachten; nicht mehr bestehende Bedarfe seien nicht mehr zu decken. Da die Analogleistungen als Pauschalen gewährt würden, die neben dem aktuellen Bedarf zugleich auch vergangenheits- und zukunftsbezogene Komponenten enthielten, sei bei jedem im Regelsatz nach dem SGB XII berücksichtigten Bedarfsanteil zu prüfen, ob er auf einen aktuellen Bedarf entfalle oder ob er für Ansparungen oder einmalige Bedarfe vorgesehen sei. Die Nachzahlung werde deshalb auf die nicht gedeckten Bedarfe beschränkt. Das BSG sehe auch nicht etwa - wie der Kläger in seinem Widerspruch - den Unterschied in den Leistungen nach § 2 und § 3 AsylbLG ausschließlich in einem Bedarf für Integration. Bezogen auf einen Haushaltsvorstand ergäben sich für die einzelnen Abteilungen 01 bis 12 innerhalb des Regelsatzes nach dem SGB XII für den Stand 01.07.2008 folgende Nachholbedarfe:
Bestandteil: Abt. 1 und 2 (Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 130,70 EUR
Leistung nach AsylbLG: Bedarf gedeckt
Nachholbedarf: 0,00 EUR
Bestandteil: Abt. 3 (Bekleidung, Schuhe)
Im Regelsatz SGB XII enthalten: 34,98 EUR
Leistung nach AsylbLG: 20,45 EUR
Nachholbedarf: 14,53 EUR
Bestandteil: Abt. 4 (Strom, Reparat...