Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletztenrente. Höherbewertung. akademische Ausbildung. besondere berufliche Kenntnisse. Nachteil
Orientierungssatz
1. Zum Nichtvorliegen einer unbilligen Härte iS von § 581 Abs 2 RVO bei einem Chemiker, der auf der Ebene unterhalb des Laborleiters und dessen zunehmend aus Diplom-Chemikern mit Universitätsabschluß bestehenden direkten Mitarbeitern gearbeitet hat.
2. Der Annahme einer unbilligen Härte steht entgegen, wenn der Versicherte für seine Berufskrankheitsfolgen eine Rente erhält, also ein Anwendungsbedarf des § 581 Abs 2 RVO, die gravierende Benachteiligung eines Unfallverletzten aufgrund seiner beruflichen Situation durch die Ermöglichung einer Rentenleistung auszugleichen (vgl BSG vom 23.6.1983 - 2 RU 13/82 = SozR 2200 § 581 Nr 18), gerade nicht besteht.
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H. zusteht.
Der 1923 geborene Kläger absolvierte an der Universität M. u.a. ein Chemiestudium. Im Juni 1955 trat er als Praktikant in die Firma F. und G. C. AG in K. ein. Als Chemiker war er bis Oktober 1974 mit der Entwicklung von Weich-PVC-Massen zur Fertigung von Spezialdrähten und -schläuchen betraut; nachdem Atemwegsprobleme bei dem Kläger auftraten, war er danach in der Abteilung für technologische Versuche und Entwicklungen auf dem Schichtstoffgebiet eingesetzt. Wegen fortbestehender Atembeschwerden wurde der Kläger ab 01.06.1977 als Werkstoffprüfer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde mit dem 30.06.1991 einvernehmlich mit der Begründung aufgehoben, sein Arbeitsplatz sei in Wegfall gekommen. Eine Verwendungsmöglichkeit des Klägers auf einem anderen Arbeitsplatz als Chemiker bestehe aus gesundheitlichen Gründen nicht, weil seine Atemwege keinerlei Lackdünste und -dämpfe vertrügen. Die Beklagte erklärte sich in dem Verfahren Sozialgericht Köln - 5 16 U 211/77 - aufgrund der Gutachten von Prof. Dr. W. vom 15.11.1977 und vom 17.12.1979 bereit, dem Kläger wegen der Berufskrankheit Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKVO ab dem 01.07.1980 eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu zahlen. Das damalige Streitverfahren fand daraufhin seine Erledigung.
Mit Ausführungsbescheid vom 05.12.1980 erkannte die Beklagte als Folge der Berufskrankheit eine durch Isozyanat-Dämpfe sowie durch vermehrte Inhalation anderer chemisch-irritativer bzw. toxisch wirkender Stoffe verursachte Verschlimmerung der schicksalhaften obstruktiven Atemwegserkrankung an. Die Rente wurde zunächst als vorläufige und mit Bescheid vom 25.09.1982 ebenfalls nach einer MdE von 20 v.H. als Dauerrente bewilligt. Mit Bescheid vom 19.05.1987 nahm die Beklagte eine Korrektur der Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes vor; sie setzte einen JAV-Betrag von 60.000,-- DM anstelle des bisherigen Betrages von 45.475,-- DM fest.
Der Kläger meldete sich vom 09.07.1980 bis 31.10.1981 arbeitslos und bezog Leistungen vom Arbeitsamt. In einem an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 29.09.1981 wies das Arbeitsamt Köln darauf hin, der Kläger könne nach dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten vom 05.08.1980 nicht mehr in seinem erlernten Beruf als Chemiker tätig sein. Allenfalls könne er unter Berücksichtigung seiner beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten als Vertreter oder Berater von chemischen Produkten tätig werden, vorausgesetzt, daß ihm zuvor die fehlenden kaufmännischen Kenntnisse im Rahmen einer innerbetrieblichen Einarbeitungsmaßnahme vermittelt würden. Die eingeleiteten Vermittlungsbemühungen seien wegen der angespannten Arbeitsmarktlage, insbesondere im chemischen Bereich, und des fortgeschrittenen Lebensalters des Klägers erfolglos gewesen. Aus diesem Grunde würden für die vorerwähnten Einarbeitungsmaßnahmen wenig Erfolgsaussichten gesehen. Die Möglichkeiten einer beruflichen Wiedereingliederung wurden von der fachlich zuständigen Vermittlungsstelle als so gut wie aussichtslos beurteilt. Mit Wirkung vom 01.01.1982 erhielt der Kläger von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (Bescheid vom 19.07.1982); seit dem 01.03.1989 bezieht er Altersruhegeld von der LVA Freie und Hansestadt Hamburg.
Der Kläger hatte wiederholt mit Schreiben vom 05.10.1980 und Juni 1981 die Erhöhung der Verletztenrente auf die Vollrente beantragt. Im Rahmen eines Berufungsverfahrens vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 17 U 183/90 -, das der Kläger gegen die Abweisung einer sogenannten Untätigkeitsklage durch das Sozialgericht Köln - S 16 U 267/87 - angestrengt hatte, weil die Beklagte - so seine Auffassung - Anträge auf Erhöhung der Verletztenrente gemäß § 581 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO - nicht beschieden habe, gab die Beklagte im Verhandlungstermin vom 12.02.1992 die Erklärung ab, sie sehe den Schriftsatz des Klägers vom 11.11.1991 als Antrag auf Gewährung einer höheren Verletztenrente nach § 581 Abs. 2 RVO sowie als Überprüfungsantrag bezüglich der Gewährung von Leistungen nach § 587 RVO an; sie werde die...