Entscheidungsstichwort (Thema)

Verletztenrente. Erhöhung. besondere berufliche Betroffenheit. Fliesenleger

 

Orientierungssatz

Eine besondere berufliche Betroffenheit erfordert grundsätzlich die erzwungene Aufgabe einer spezifischen, nicht alltäglichen Berufstätigkeit mit einem verhältnismäßig engen Einsatzbereich, wobei in erster Linie an künstlerische und sonstige schöpferische Fähigkeiten gedacht ist. Wesentliche Merkmale sind insoweit die Dauer der Ausbildung und Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit und die Gewährleistung einer günstigen Stellung im Erwerbsleben. Der in drei Jahren erlernte und überwiegend ausgeübte Beruf eines Fliesenlegers ist ein nicht ungewöhnlicher, weitverbreiteter staatlich anerkannter Ausbildungsberuf im Baugewerbe, der quantitativ und qualitativ keine die Kenntnisse und Fertigkeiten anderer Ausbildungsberufe in Handwerk und Industrie überragenden Anforderungen stellt.

 

Normenkette

RVO § 581 Abs. 2

 

Verfahrensgang

SG Münster (Urteil vom 25.03.1998; Aktenzeichen S 13 U 308/95)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger wegen § 581 Abs. 2 RVO eine höhere Verletztenrente zusteht.

Der 1951 geborene Kläger erlernte von 1966-1969 den Beruf eines Fliesenlegers, den er nach der Gesellenprüfung mit Unterbrechungen bis 1988 ausübte. Ab 01.07.1988 verrichtete er diese Tätigkeit als selbständiger Unternehmer; Ende März 1994 mußte er sie wegen eines Hautleidens aufgeben. Seitdem geht er keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Die Beklagte erkannte das Leiden mit dem Bescheid vom 07.03.1995 als Berufskrankheit (BK) im Sinne von Nr. 5101 der Anlage 1 zur BKVO an und gewährte dem Kläger eine vorläufige Verletztenrente in Höhe von 20 v. H. der Vollrente. Zugrunde lag dem u. a. ein dermatologisches Gutachten des PD Dr. W. vom 30.06.1994 nebst ergänzender Stellungnahme vom 18.08.1994, in der es heißt, die Hauterkrankung sei als schwer zu bezeichnen und habe zur Aufgabe der beruflichen Tätigkeit geführt. Wegen der bestehenden Typ IV-Kontaktsensibilisierung gegen den Berufsstoff Epoxidharz und der bekannten starken Sensibilisierungspotenz sowie der Verbreitung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt schätze er die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 v. H. ein. Außerdem erhielt der Kläger Übergangsleistungen nach § 3 BKVO . Mit seinem Widerspruch rügte er, die Rentenhöhe sei unzureichend. Die Hautveränderungen an den Händen und Beinen, die Überempfindlichkeit der Haut gegenüber Epoxidharzen soweit die allgemeine Empfindlichkeitssteigerung der Haut seien unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und sozialen Nachteile infolge der Berufsaufgabe nicht ausreichend bewertet. Zudem lasse der Bescheid eine Auseinandersetzung mit den Empfehlungen der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft vermissen. Durch Widerspruchsbescheid vom 05.10.1995 wies die Beklagte den Rechtsbehelf zurück mit dem Hinweis, maßgebend sei die Bewertung des Dr. W.; eine Erhöhung der MdE nach § 581 Abs. 2 RVO komme nicht in Betracht.

Mit der Klage hat der Kläger im wesentlichen geltend gemacht, die Beklagte habe bei der Bemessung der MdE die mit der erzwungenen Berufsaufgabe verbundenen Nachteile nicht beachtet; es liege ein Härtefall vor. Er habe 1988 den Schritt in die Selbständigkeit gewagt und sei bis zu Beginn der Erkrankung im Jahre 1992 mit Aufträgen ausgelastet gewesen, so daß es ihm wirtschaftlich erheblich besser gegangen sei als zuvor. Diese berufsspezifischen Vorteile seien nun entfallen. Seine Fähigkeiten beträfen hauptsächlich den Umgang mit Beton und ähnlichen Verbundstoffen; andere Berufsbilder, wo er diese noch einsetzen könne, gebe es nicht. Sein Alter und seine gesundheitlichen Beschwerden machten es ihm unmöglich, eine andere adäquate Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden. Die Beklagte hat demgegenüber die Voraussetzungen des § 581 Abs. 2 RVO weiterhin verneint, weil die Bemessung der MdE ohne Berücksichtigung von Ausbildung und Beruf zu keiner unbilligen Härte führe. Der Kläger sei trotz der BK noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig zu verrichten und könne folglich seine beruflichen Kenntnisse und Erfahrungen in anderen nicht hautschädigenden Tätigkeiten nutzen.

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 25.03.1998 antragsgemäß verpflichtet, dem Kläger eine Verletztenrente in Höhe von 30 v. H. zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die nach der Rechtsprechung bei Anwendung des § 581 Abs. 2 RVO vorzunehmende Einzelfallprüfung führe hier zur Annahme einer unbilligen Härte. Der Kläger könne wegen der BK seine gesamten speziellen qualifizierten Tätigkeiten nicht mehr verrichten und seine Fähigkeiten auch nicht anderweitig zumutbar verwerten. Durch seine zuletzt ausgeübte selbständige Tätigkeit als Fliesenleger habe er eine wirtschaftlich besonders günstige Stellung im Erwerbsleben eingenommen und durch die BK einen gravierenden Einkommensverlust hinnehmen müssen. Eine ihm in Anbetracht seines Alters an sich noch zumutbare berufliche Anpassung sei ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?