Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung von Hinterbliebenenrente auf dem Weg des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs

 

Orientierungssatz

1. Das Einsetzen des monatlichen Zahlungsanspruchs für eine Hinterbliebenenrente ist abhängig von der Stellung eines Leistungsantrags. Grundsätzlich wird eine Hinterbliebenenrente vom Todestag an geleistet, wenn an den Versicherten im Sterbemonat keine Rente zu leisten ist. Ergänzend regelt § 99 Abs. 2 S. 3 SGB 6, dass eine Hinterbliebenenrente nicht für mehr als 12 Monate vor dem Monat geleistet wird, in dem die Rente beantragt wird. Damit wird die dreimonatige Regelantragsfrist des § 99 Abs. 1 SGB 6 pauschal auf ein Jahr zugunsten von Hinterbliebenen erweitert, die aus Unkenntnis über den Tod die Antragsfrist nicht einhalten können.

2. Eine Unkenntnis des Rechts und der Befristung seiner Ausübung, die gesetzlich geregelt ist, rechtfertigt nicht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

3. Grundsätzlich kommt ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch neben einer möglichen Wiedereinsetzung in Betracht. Dieser setzt u. a. eine Pflichtverletzung des Versicherungsträgers voraus. Eine Pflicht zur Anlass- oder Spontanberatung kommt nur bei Fallgestaltungen in Betracht, bei denen eine wirtschaftlich günstige Gestaltungsmöglichkeit offenkundig ersichtlich ist. Hatte der Rentenversicherungsträger zu keinem Zeitpunkt Kenntnis von der Existenz eines Kindes des Versicherten, so ist die Gewährung von Hinterbliebenenrente unter dem Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ausgeschlossen.

4. Die Zurechnung der Pflichtverletzung eines anderen Leistungsträgers im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kommt in Betracht, wenn zwischen zwei Leistungsträgern eine Funktionseinheit in der Weise besteht, dass ein Leistungsträger in den Verwaltungsablauf desjenigen Leistungsträgers arbeitsteilig eingeschaltet ist, gegen den sich der Anspruch richtet, dieser sich also für die Erfüllung der ihm obliegenden sozialrechtlichen Aufgabe kraft Gesetzes oder Vertrags jenes Leistungsträgers bedient.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 4.12.2009 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist der Beginn einer Halbwaisenrente.

Der 1991 geborene Kläger ist (nach der 1970 geborenen C1 und dem 1977 geborenen C) das 3. Kind des 1949 geborenen Q A und der 1952 geborenen und am 00.00.1999 verstorbenen T A (im Folgenden: Versicherte). Der Kläger und seine Eltern waren (jedenfalls bis 1999) bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK) gegen Krankheit (familien-)versichert.

Auf den Antrag des Klägers vom Februar 2008 bewilligte die Beklagte Halbwaisenrente ab Februar 2007 in Höhe von monatlich 127,92 EUR (Bescheid vom 17.6.2008). Mit seinem Widerspruch beanspruchte der Kläger Halbwaisenrente bereits ab dem Tod der Versicherten im Jahr 1999. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück. Das Gesetz sehe eine weitergehende Rückwirkung nicht vor (Widerspruchsbescheid vom 12.2.2009).

Mit seiner Klage hat der Kläger weiter Halbwaisenrente ab dem 00.00.1999 begehrt. Der Anspruch bestehe jedenfalls aufgrund eines Sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Die Beklagte hätte ihn beizeiten über den Anspruch auf Halbwaisenrente aufklären müssen.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 17.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Halbwaisenrente rückwirkend ab dem 00.00.1999 zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide weiter für zutreffend gehalten. Ein Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch bestehe nicht.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen: Hinterbliebenenrenten wie die Halbwaisenrente würden von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien, jedoch nicht für mehr als zwölf Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt worden ist. Deshalb habe die Beklagte die Rente zu Recht ab Februar 2007 bewilligt. Eine Auskunfts- oder Beratungspflicht habe sie nicht verletzt (Urteil vom 4.12.2009).

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger den Anspruch auf Halbwaisenrente für die Zeit vom 00.00.1999 bis zum 31.1.2007 weiter. Die Beklagte habe seiner Mutter mit Schreiben vom 9.8.1989 mitgeteilt, dass ihr die Geburt der Kinder von Versicherten seit 1986 direkt mitgeteilt werde. Danach habe seine Geburt der Beklagten bekannt gewesen sein müssen. Alle Familienmitglieder seien 1999 bei der DAK gegen Krankheit versichert gewesen. Die Mitarbeiterin der Außenstelle der DAK in I Frau M habe weder ihn noch seinen Vater auf einen möglichen Hinterbliebenenrentenanspruch hingewiesen, obwohl sie vom Tod seiner Mutter gewusst habe. Das müsse die Beklagte sich zurechnen lassen. Außerdem habe sein Vater sich im Januar und Mai 2003 schriftlich an die Beklagte gewandt und erfragt, wann er fr...

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