Entscheidungsstichwort (Thema)
Fremdrentenrecht. Herstellungsbescheid. Bindungswirkung. Kontenklärungsverfahren. Rentenverfahren
Orientierungssatz
1. Herstellungsbescheide blieben bzw bleiben wirksam und damit nach Eintritt der Unanfechtbarkeit hinsichtlich der getroffenen Regelungen bindend, solange und soweit sie nicht zurückgenommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt sind (§ 39 Abs 2 SGB 10). Sofern zwischen Erteilung eines solchen Herstellungsbescheides und der Bewilligung einer entsprechenden Rente Änderungen in den rechtlichen Verhältnissen, beispielsweise durch Änderung der maßgebenden Anrechnungsvorschriften eingetreten sind - hier im Fall der im Beitrittsgebiet zurückgelegten Versicherungszeiten also die grundsätzliche Erfassung der Beitragszeiten im Beitrittsgebiet nach Maßgabe der §§ 254d ff SGB 6 anstelle der Vorschriften des FRG - bedarf es einer ausdrücklichen Aufhebung dieser Herstellungsbescheide, da sie ansonsten der Rentenberechnung zugrunde zu legen sind.
2. Das BSG hat klargestellt, dass weder Art 38 RÜG noch § 149 Abs 5 SGB 6 den Rentenversicherungsträger von einer ausdrücklichen Aufhebung von Herstellungsbescheiden entbindet (vgl BSG vom 23.8.2005 - B 4 RA 21/04 R und BSG vom 29.4.1997 - 4 RA 25/96).
3. Durch Art 38 RÜG wurden lediglich die Aufhebungsvoraussetzungen hinsichtlich § 24 SGB 10 (Anhörung) und bei einer Aufhebung für die Vergangenheit bezüglich Art 48 Abs 1 S 2 SGB 10 modifiziert. Nur insoweit verdrängt Art 38 RÜG die allgemeinen Rücknahmevorschriften des SGB 10 und erlaubt somit eine Aufhebung der Feststellungsbescheide, die jedoch unter den dort genannten erleichternden Voraussetzungen (also ohne Anhörung und ohne Berücksichtigung der Vertrauensschutzerwägungen, die bei einer Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Vergangenheit gemäß § 48 Abs 1 S 2 SGB 10 zu beachten wären) spätestens im Rentenbescheid vorgenommen werden muss (vgl BSG vom 29.4.1997 - 4 RA 25/96, BSG vom 16.12.1997 - 4 RA 56/96, BSG vom 30.3.2004 - B 4 RA 46/02 R, BSG vom 13.12.2000 - B 5 RJ 42/99 R und BSG vom 23.8.2005 - B 4 RA 21/04 R).
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen einer im Berufungsverfahren erhobenen erstinstanzlichen Klage nur noch darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, einen sogenannten Herstellungsbescheid nach Erlass des Altersrentenbescheides aufzuheben, um die Altersrente danach mit Wirkung für die Zukunft neu festzustellen und zu berechnen.
Die 00.00.1939 geborene Klägerin reiste am 09.02.1989 aus dem Beitrittsgebiet in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie ist Inhaberin des Vertriebenenausweises A. Am 01.09.1989 beantragte sie die Durchführung eines Kontenklärungsverfahrens. Nach Sichtung und Auswertung der beigebrachten Unterlagen erließ die Beklagte daraufhin zunächst zwei Bescheide unter dem Datum 24.10.1989 (Versicherungsverlauf nach § 104 Abs. 3 Angestelltenversicherungsgesetz - AVG -). Daneben erließ die Beklagte unter dem 26.10.1989 zwei sogenannte Herstellungsbescheide (Feststellungsbescheide), in denen (neben Ausfall- und Kindererziehungszeiten) Beitragszeiten nach § 15 Fremdrentengesetz (FRG) ohne Kürzung hinsichtlich der Zeiträume 01.09.1953 bis 25.01.1989 mit entsprechender Leistungsgruppenzuordnung anerkannt wurden. Mit weiterem Bescheid vom 11.10.1994 waren schließlich noch Berücksichtigungszeiten wegen Pflege ab 01.06.1994 vorgemerkt worden.
Am 08.11.2001 beantragte die Klägerin die Gewährung einer vorgezogenen Altersrente für langjährig Versicherte. Mit Bescheid vom 20.02.2002 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine solche Rente beginnend ab dem 01.04.2002 in Höhe von 321,86 Euro. Auf Seite 3 dieses Bescheides heißt es unter der Rubrik - Hinweise zur Berücksichtigung von Zeiten -: "Es wurden Zeiten zurückgelegt, die nach den bisherigen rentenrechtlichen Vorschriften berücksichtigt wurden. Diese Vorschriften sind zum Teil aufgehoben oder geändert worden. Insbesondere ist die Bewertung der Zeiten neu geregelt worden. Wir haben geprüft, in welchem Umfang die Zeiten nach den jetzt maßgebenden Vorschriften anzurechnen sind. Die Bescheide vom 24.10.1989 über die Feststellung dieser Zeiten werden nach § 149 Abs. 5 Satz 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) aufgehoben, soweit sie nicht dem geltenden Recht entsprechen. Die nach der Neuregelung zu berücksichtigenden Zeiten sind dem beiliegenden Versicherungsverlauf zu entnehmen".
Die beiden Bescheide vom 26.10.1989 werden im Rentenbescheid nicht erwähnt.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und machte unter Hinweis auf ihren Vertriebenenstatus u.a. geltend, die in der ehemaligen DDR zurückgelegten Beitragszeiten seien nicht angemessen berücksichtigt. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.01.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Altersrente der Klägerin habe gemäß § 300 SGB VI nach Maßgabe des bei Rentenbeginn wirksamen Rechts berechnet werden müssen. Ab dem 01.01.1992 habe das FRG keine Anwendung mehr auf Beitragszeiten...