Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung von Beitragszuschüssen zur Kranken- und Pflegeversicherung. Nacherhebung der Eigenbeteiligung an den Beiträgen
Leitsatz (amtlich)
Die besonderen Aufhebungs- und Rückforderungsvorschriften der §§ 255 SGB 5 und 60 SGB 11 verdrängen die §§ 44ff SGB 10.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. September 2011 aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. September 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Rückforderung von Zuschüssen zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit vom 01. April 2002 bis zum 31. August 2008 (Pflegeversicherungszuschüsse nur bis zum 31. März 2004) sowie der Nacherhebung der Eigenbeteiligung an den Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung für die Zeit vom 01. Januar 2004 bis zum 31. August 2008.
Der am ... 1935 geborene Kläger beantragte am 17. November 1999 eine Altersrente für langjährig Versicherte mit einem Rentenbeginn am 01. Februar 2000 sowie die Gewährung von Zuschüssen zur Kranken- und Pflegeversicherung. Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 02. Februar 2000 diese Rente sowie mit nachträglich von der Beklagten aus dem EDV-System heraus ausgedruckten Bescheiden vom 10. März 2000 bzw. vom 17. März 2000 Zuschüsse zu den Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen. Die Altersrente wurde mit weiteren Bescheiden (die ebenfalls nachträglich von der Beklagten aus dem EDV-System heraus ausgedruckt wurden) vom 04. März 2002, vom 13. Mai 2004 und vom 05. Februar 2007 mit Wirkung ab 01. Januar 2002, 01. Juli 2004 bzw. ab 01. April 2007 neu berechnet.
Mit einem am 03. Juni 2008 erstellten Datensatz teilte die Krankenkasse des Klägers, die Barmer Ersatzkasse (BEK), der Beklagten mit, dass der Kläger seit dem 01. April 2002 in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig sei. Der Kläger sei seinerzeit über die Neuregelung der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) ab 01. April 2002 informiert worden, so die BEK. Eine Kopie des an ihn gegangenen Schreibens liege aber nicht mehr vor. Mit Bescheiden vom 19. und 20. Juni 2008 berechnete die Beklagte die Rente daraufhin mit Wirkung für die Zukunft - ab 01. September 2008 - neu. Im Rahmen dieser Bescheide hörte die Beklagte den Kläger zu ihrer Absicht an, den Kläger zur Erstattung zu Unrecht gezahlter Beitragszuschüsse in Höhe von 8.834,86 Euro zu verpflichten (Bescheid vom 19. Juni 2008) sowie die aufgrund nicht einbehaltener Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge eingetretene Überzahlung in Höhe von 8.392,48 Euro (Bescheid vom 20. Juni 2008) aus der weiterhin zu zahlenden Rente einzubehalten.
In seiner Stellungnahme hierzu äußerte der Kläger, er habe keinen Handlungsbedarf erkannt, da er den Überblick verloren habe. Der Sachverhalt sei amtsintern über Jahre nicht weiter aufgefallen. Dies, obwohl die Beklagte selbst das Herrschaftswissen um die entsprechenden gesetzlichen Änderungen gehabt habe und jederzeit in der Vergangenheit hätte reagieren können. Im Übrigen erhebe er die Einrede der Verjährung. Außerdem habe er die zugewendeten Gelder in dem guten Glauben, sie für sich und seine Familie verwenden zu können, längst ausgegeben. Insoweit berufe er sich auf Entreicherung.
Mit Bescheid vom 18. März 2009 hob die Beklagte den Bescheid vom 04. März 2002 über die Bewilligung der Beitragszuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung mit Wirkung ab 01. April 2002 gemäß § 45 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) auf und forderte die Erstattung von 4.417,43 Euro. Dem Kläger sei bekannt gewesen, dass er ab dem 01. April 2002 keinen Anspruch mehr auf einen Beitragszuschuss gehabt habe. Allerdings sei die Rückforderungssumme im Wege des Ermessens auf die Hälfte des überzahlten Betrages zu begrenzen, weil die Meldung der BEK erheblich verspätet erfolgt sei und sie sich dies aufgrund des Datenverbundes zurechnen lassen müsse. Außerdem machte die Beklagte in demselben Bescheid die Nacherhebung der Eigenbeteiligung an den Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung in der in ihrem Anhörungsschreiben genannten Höhe von 8.392,48 Euro geltend. Die Gesamtüberzahlung werde im Juni 2009 in Höhe von 93,91 Euro und ab Juli 2009 in Höhe von 289 Euro monatlich mit der Altersrente verrechnet. Gegenüber dem Kläger ist aber bisher noch keine Aufrechnung durchgeführt worden.
Dagegen legte der Kläger am 06. April 2009 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, er habe keinerlei Information über die potentielle Reduktion seiner Rente ab 01. April 2002 erhalten. Ihn treffe kein Verschulden. Außerdem sei Entreicherung und Verjährung zu beachten. Die Regressquote sei daher auf Null zu reduzieren. Diesen Widerspruch wies die ...