Prof. Dr. jur. Tobias Huep
Die Gefährdungsbeurteilung hat sich an den Begriffen der "Gefährdung" bzw. der "unverantwortbaren Gefährdung" zu orientieren:
- "Gefährdungen" der Schwangeren oder stillenden Mutter sowie des Kindes sollen möglichst vermieden werden.
- "Unverantwortbare Gefährdungen" müssen ausgeschlossen werden.
Erst wenn beim Arbeitgeber Klarheit über den Inhalt der Begriffe als Leitlinien der weiteren Beurteilung herrscht, kann die Gefährdungsbeurteilung richtig durchgeführt werden. Beide Begriffe sind unter Berücksichtigung der Schutzziele des Mutterschutzgesetzes zu präzisieren. Gefahren, die dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen sind, sind von vornherein unbeachtlich.
In der arbeitsschutzrechtlichen Praxis sind daher sämtliche Gefahren für die Schwangere, die stillende Frau und das Kind zu erfassen und zu beurteilen.
Die erforderliche Konkretisierung der beiden unbestimmten Rechtsbegriffe, insbesondere der "unverantwortbaren Gefährdung" war zunächst nur schwer möglich, da die Begriffe neu in das Mutterschutzgesetz aufgenommen wurden. Allerdings war auch nach der bis 31.12.2017 geltenden Mutterschutz-VO eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Der dabei anzulegende Maßstab wurde z. T. im Sinne einer "mit Sicherheit auszuschließenden Gefährdung" strenger interpretiert als die aktuell geltende Formulierung.
Zwischenzeitlich hat der nach § 30 Abs. 2 MuSchG gebildete Ausschuss für Mutterschutz gemäß seinem Gesetzesauftrag mit der AfMu-Regel Nr. MuSchR 10.1.23 bundeseinheitliche Leitlinien für die Gefährdungsbeurteilung entwickelt. Inhaltlich hatte sich der Ausschuss dabei im Hinblick auf die Gefährdungsbeurteilung an der Aufgabenstellung des § 30 Abs. 3 Nr. 1 MuSchG zu orientieren. Die in der jeweiligen "Regel" enthaltenen Informationen und Hinweise sollten von jedem Arbeitgeber beachtet werden – sie konkretisieren die arbeitgeberseitigen Verpflichtungen in diesem Zusammenhang. Die Einhaltung der Vorgaben dieser Regeln begründet die Vermutung, dass der Arbeitgeber die gesetzlichen Anforderungen an den Mutterschutz erfüllt hat.
Die Konkretisierungen COVID-19-bezogener Pflichten und Maßnahmen aufgrund der verschiedenen SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregelungen sind zwischenzeitlich aufgehoben und nicht mehr erneuert worden. Die für den Mutterschutz erforderlichen Maßnahmen im Hinblick auf COVID-19-Gefährdungen sind nunmehr auf Basis einer aktualisierten Gefährdungsbeurteilung zu treffen. Wichtige allgemeine Hinweise lassen sich der "BAuA-Handlungsempfehlungen SARS-CoV-2" sowie den branchenbezogenen Schutzstandards der Unfallversicherungsträger entnehmen.
Gemäß § 31 Satz 1 Nr. 1 MuSchG ist zudem die Bundesregierung (mit Zustimmung des Bundesrats) ermächtigt, durch Rechtsverordnung u. a. nähere Bestimmungen zu dem dem Arbeitsschutz bislang unbekannten Begriff der "unverantwortbaren Gefährdung" i. S. v. § 9 Abs. 2 MuSchG zu treffen. Dies ist aktuell noch nicht geschehen.
Daneben sind die Aufsichtsbehörden gemäß § 29 Abs. 3 MuSchG befugt:
Für die Praxis kann am Verfahren der bisherigen arbeits- und mutterschutzrechtlichen Gefährdungsbeurteilung grundsätzlich festgehalten werden. Insbesondere kann die allgemeine Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG um die mutterschutzrechtliche Beurteilung erweitert und ergänzt werden. Angepasst werden müssen die Prozesse an die geänderten inhaltlichen Anforderungen.
Grundlage der Gefährdungsbeurteilung
Die Gefährdungsbeurteilung ist nach dem aktuellen Stand der Technik, der Arbeitsmedizin und der Arbeitshygiene sowie sonstigen gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen durchzuführen. Die Beurteilung wird dem Arbeitgeber oftmals aufgrund mangelnder Kenntnisse nicht ausreichend möglich sein. In diesem Fall muss er sich fachkundig beraten lassen. Im Zweifel sollte der Arbeitgeber stets fachkundige Unterstützung hinzuziehen. Betriebs- und unternehmensinterne Unterstützung können zudem Betriebsarzt bzw. die Fachkraft für Arbeitssicherheit leisten.
Beauftragung fachkundiger Personen
Über die begleitende Beratung hinaus, kann der Arbeitgeber gemäß § 9 Abs. 5 MuSchG zuverlässige und fachkundige Personen damit beauftragen, die Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen. Die Anforderungen entsprechen den allgemeinen arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen: Voraussetzungen sind sowohl die individuell-persönliche Zuverlässigkeit als auch die Fachkompetenz. Die Beauftragung muss zu Dokumentationszwecken schriftlich erfolgen. In diesem Fall trifft den Arbeitgeber (nur noch) die Pflicht zur sorgfältigen Auswahl der Person sowie zur Überwachung der Umsetzung; die Gefährdungsbeurteilung selbst liegt allein in der Verantwortung der fachk...