Rz. 40
Die Krankheit des Arbeitnehmers muss zu einer Arbeitsunfähigkeit führen; nur dann gewinnt sie für Entgeltfortzahlungsansprüche Bedeutung. Es ist zwischen der Erkrankung des Arbeitnehmers und der Folge der Arbeitsunfähigkeit zu differenzieren. Nicht jede Krankheit führt zu einer Arbeitsverhinderung. Wie der Krankheitsbegriff ist auch der Begriff der Arbeitsunfähigkeit gesetzlich nicht definiert. Es hat sich jedoch in der Rechtsprechung des BAG und des Bundessozialgerichts ein Begriff verfestigt, der auch in den Bestimmungen des Krankenversicherungsrechts zu finden ist: Arbeitsunfähigkeit ist gegeben, wenn eine Krankheit den Arbeitnehmer außerstande setzt, die ihm nach dem Inhalt des Arbeitsvertrags obliegende Arbeit zu verrichten, oder er die Arbeitsleistung nur unter der Gefahr erbringen kann, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtert. Selbst wenn der Arbeitnehmer eine Arbeitsleistung erbracht hat, dies aber mit dem Risiko einer Gesundheitsverschlechterung verbunden war, kann eine Arbeitsunfähigkeit bejaht werden. Arbeitsunfähigkeit kann sich insofern unmittelbar aus der Schwere oder der Art der Erkrankung ergeben, die die Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung unmöglich macht. Arbeitsunfähigkeit kann aber auch mittelbar als Folge der durch die Krankheit erforderlichen Krankenpflege oder Schonung zur Vermeidung einer Verschlimmerung des Gesundheitszustands oder einer Rückfallerkrankung gegeben sein.
Rz. 41
Keine Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer aufgrund der Erkrankung nur nicht in der Lage ist, den Weg zur Arbeit zurückzulegen. Auch die Erforderlichkeit von Arztbesuchen oder sonstigen medizinischen Behandlungen (Reha-Maßnahmen, Physiotherapie, Krankengymnastik) begründet nicht ohne Weiteres eine Arbeitsunfähigkeit. Arbeitsunfähigkeit i. S. d. § 3 EFZG ist nur ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn ein Arztbesuch zumutbarerweise nicht außerhalb der Arbeitszeit wahrgenommen werden kann und der Arbeitnehmer sich ohne Arztbesuch der Gefahr aussetzen würde, in absehbar naher Zeit seinen Zustand zu verschlimmern. Nur wenn für den Arbeitnehmer eine Terminkollision unvermeidbar ist, kann ein Anspruch nach § 616 BGB bzw. Tarif- oder Arbeitsvertrag in Betracht kommen. Bei einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation kann zudem ein Entgeltanspruch nach § 9 EFZG bestehen.
Rz. 42
Ist der erkrankte Arbeitnehmer subjektiv in der Lage, die vereinbarte Arbeitsleistung zu erbringen, darf er aber aufgrund einer Ansteckungsgefahr für Kunden, Kollegen oder den Arbeitgeber den Arbeitsplatz nicht aufsuchen, liegt Arbeitsunfähigkeit vor, weil es dem Arbeitnehmer objektiv nicht zumutbar ist, seinen Arbeitsplatz aufzusuchen und dabei ggf. andere anzustecken. Es besteht jedoch kein Entgeltfortzahlungsanspruch, was sich der Entschädigungsregelung des Infektionsschutzgesetzes entnehmen lässt. In Betracht kommt ein Anspruch des Arbeitnehmers nach § 616 BGB.
2.3.2.1 Feststellung der Arbeitsunfähigkeit
Rz. 43
Eine Arbeitsunfähigkeit ist nach objektiven Gesichtspunkten festzustellen und nicht von der subjektiven Wertung der Arbeitsvertragsparteien abhängig. Der behandelnde Arzt hat insofern nach objektiven medizinischen Kriterien eine Bewertung vorzunehmen. Dabei hat er sowohl auf die Umstände und Schwere der Erkrankung als auch auf die Art der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung abzustellen. Der Arzt hat den Arbeitnehmer daher über Art und Umfang der tätigkeitsbedingten Anforderungen sowie ...