Katharina Haslach, Birgit Zimmermann
Rz. 16
In subjektiver Hinsicht setzt eine Kündigung des Arbeitgebers aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit voraus, dass der Arbeitgeber positive Kenntnis von der bestehenden oder bevorstehenden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat. Erlangt er die Kenntnis erst nach Abgabe der Kündigungserklärung, genügt dies nicht, selbst wenn die Arbeitsunfähigkeit vor Zugang der Kündigungserklärung eintritt. Die erforderliche Kenntnis von einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit erlangt der Arbeitgeber in der Regel durch eine Anzeige der Arbeitsunfähigkeit durch den Arbeitnehmer und deren Nachweis gem. § 5 Abs. 1 EFZG (Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Arbeitnehmer).
Rz. 17
Nach der Rechtsprechung des BAG kann sich der Arbeitgeber der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung trotz oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses i. S. d. § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG nicht dadurch entziehen, dass er bei einem Fehlen des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz sofort und ohne Abwarten der Anzeige- und Nachweis- bzw. Feststellungsfristen des § 5 Abs. 1 EFZG eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausspricht. Dies würde zu einer ungerechtfertigten Privilegierung gegenüber den Arbeitgebern führen, die erst nach Ablauf der Anzeige- und Nachweis- bzw. Feststellungsfristen kündigen. In diesen Fällen kann sich der Arbeitgeber daher nicht darauf berufen, er habe keine Kenntnis von der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers gehabt.
Für einen Arbeitgeber ist es besser, die Nachweis- bzw. Feststellungsfrist des § 5 Abs. 1 BGB vor Ausspruch einer Kündigung abzuwarten. Diese beginnt mit dem Fehlen des Arbeitnehmers und endet – soweit aufgrund Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelvertrag keine von § 5 Abs. 1 EFZG abweichenden Vereinbarungen mit einer kürzeren Frist als der gesetzlichen getroffen wurden – mit dem Ablauf der vollen Wartefrist von 4 Kalendertagen um 24 Uhr. Fällt der letzte Tag auf einen Samstag, Sonntag oder gesetzlichen Feiertag, endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags um 24 Uhr (§§ 187, 193 BGB).
Wartet der Arbeitgeber die Nachweisfrist ab und kündigt dann das Arbeitsverhältnis, kann er davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer unentschuldigt der Arbeit fernbleibt, auch wenn tatsächlich Arbeitsunfähigkeit besteht. In diesem Fall kann er sich auch darauf berufen, er habe keine Kenntnis von der Arbeitsunfähigkeit gehabt, um die Rechtsfolgen des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG zu vermeiden. Eine später erlangte Kenntnis von der Arbeitsunfähigkeit ist insoweit unschädlich.
Rz. 18
Diese Grundsätze gelten entsprechend, wenn es sich nicht um den erstmaligen Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit handelt, sondern um eine fortdauernde Arbeitsunfähigkeit. Der Arbeitgeber sollte stets abwarten, ob der Arbeitnehmer ihm die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nach § 5 Abs. 1 EFZG anzeigt und eine entsprechende ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt bzw. diese abrufbar ist, bevor er eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausspricht.
Rz. 19
Die positive Kenntnis der Arbeitsunfähigkeit muss in der Person des Arbeitgebers oder einem anderen Kündigungsberechtigten vorliegen; eine Zurechnung der Kenntnis nicht kündigungsberechtigter Personen (z. B. eines Vorgesetzten des Arbeitnehmers) erfolgt im Rahmen des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG nicht. Teilweise wird aber vertreten, dass sich der Arbeitgeber die Kenntnis der Personen – unabhängig von deren Kündigungsberechtigung – zurechnen lassen muss, die zur Entgegennahme der Anzeige und des Nachweises der Arbeitsunfähigkeit berechtigt sind. Selbst wenn dies als zutreffend unterstellt würde, muss es dem Arbeitgeber möglich sein vorzutragen, dass die nicht kündigungsberechtigte Person ihm bis zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Information über das Vorliegen bzw. jedenfalls die Möglichkeit einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht mitgeteilt hat und dass das Unterbleiben der Weiterleitung der Information nicht auf einem Organisationsverschulden des Arbeitgebers beruht hat.