Vielmehr bedarf es eines wirklichen Bedürfnisses des Arbeitgebers. Ein wirkliches Bedürfnis kann in objektivberechtigten Kundenerwartungen bestehen, die ihrerseits aber nicht diskriminierend sein dürfen, also z. B. das Recht der Eltern, die Erziehung ihrer Kinder entsprechend ihrer eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung sicherzustellen. Zudem muss der Arbeitgeber nachweisen, dass ohne Einführung einer Neutralitätsordnung seine unternehmerische Freiheit beeinträchtigt würde, da er andernfalls mit Nachteilen zu rechnen hätte.
Unklar ist, in welchen Fällen ein solches wirkliches Bedürfnis besteht und wie ein Arbeitgeber dieses in der Praxis nachweisen kann.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass eine abstrakte Gefahr eines Nachteils nicht ausreichend ist, sondern es muss eine konkrete Gefahr oder Beeinträchtigung vorliegen (z. B. in Form von Spannungen, Störungen von Kundenbeziehungen oder wirtschaftlichen Einbußen). Eine konkrete Gefahr könnte z. B. vorliegen, wenn Dienstleistungen oder Produkte den Kontakt mit anderen Glaubens- oder Kulturkreisen bedingen, eine bestimmte kulturelle Authentizität oder eine auf genereller Diskretion basierende Neutralität verlangen.
Letztlich ist festzuhalten, dass eine unternehmerische Neutralitätsordnung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen Bestand haben wird, weil in der Regel das unternehmerische Interesse an der Gewinnerzielung hinter dem Recht des Arbeitnehmers, seine religiösen Überzeugungen zu bekennen, zurücktreten muss.
Im Grunde kommen daher nur "zwei" Hauptfallgruppen als Rechtfertigung für ein Verbot zum Tragen weltanschaulicher, religiöser und politischer Kriterien in Betracht:
Erzieherische/pädagogische Gründe: In Einrichtungen mit unmittelbarem Kontakt und Vorbildfunktion für Kinder/Jugendliche, wie Schulen oder Kindergärten, können religiöse Neutralitätsgebote aus erzieherischen Gründen gerechtfertigt sein.
Neutralität in der Kita
Die Kita K möchte religiöse und weltanschauliche Neutralität wahren; die Eltern, die ihre Kinder zur Betreuung in ihre Kita geben, sollten davon ausgehen können, dass in ihrer Kita eine nach weltanschaulichen, religiösen und politischen Kriterien neutrale und wertfreie Erziehung erfolge.
Das Recht der Eltern, die Erziehung ihrer Kinder entsprechend ihrer eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung sicherzustellen, kann ein "wirkliches Bedürfnis" nach einem neutralen Auftreten darstellen.
Arbeitsschutz- und Gesundheitsschutzgründe: Wenn religiöse Bekleidung oder Accessoires objektiv geeignet sind, die Gesundheit oder Sicherheit der Beschäftigten oder Dritten zu gefährden, können Beschränkungen erlaubt sein.
ACHTUNG: Diese Fallgruppe betrifft aber rein den Arbeitsschutz und erfolgt nicht, um ein nach außen neutrales Erscheinungsbild abzugeben!
In allen anderen Bereichen der Arbeitswelt, gerade im normalen Verwaltungs- und Wirtschaftsbereich, dürften religiöse Symbole und Bekleidung in der Regel problemlos integrierbar sein. Rein subjektive "Repräsentationsinteressen" der Arbeitgeber reichen nicht aus. Wenn bei der Art der betreffenden beruflichen Tätigkeit oder bei den Bedingungen ihrer Ausübung die Neutralität objektiv vorgegeben sein muss, dann führt das letztlich zu einem Verbot der Berücksichtigung jeglicher Kundenwünsche. Andernfalls wäre es Unternehmen möglich, unter dem Decknamen der Neutralität sogar Kunden zu bedienen, die Ideologien anhängen, welche Gefahren für unabdingbare verfassungsrechtliche Grundwerte heraufbeschwören.
EuGH-Entscheidung betreffend den öffentlichen Dienst
In einer aktuellen Entscheidung des EuGH im Sektor des Öffentlichen Dienstes hat der EuGH den Nachweis eines "wirklichen Bedürfnisses" nicht mehr gefordert, sondern den Willen des Arbeitgebers zur Neutralität ausreichen lassen, was eine Lockerung darstellt. Insbesondere wurde eine Politik der "exklusiven Neutralität" als rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt angesehen. Da diese Entscheidung im öffentlichen Sektor ergangen ist, bleibt abzuwarten, ob diese gelockerte Rechtsprechung auf den Besonderheiten des öffentlichen Sektors (Neutralitätspflicht) beschränkt bleibt, oder ob sie auch auf den privaten Sektor zu übertragen ist.
Neben dem "wirklichen Bedürfnis" muss der Arbeitgeber zudem nachweisen, dass er ohne die Neutralitätspolitik Nachteile in Bezug auf seine unternehmerische Tätigkeit erleidet.