Zusammenfassung
Unter einer Neutralitätsordnung sind unternehmensinterne Verbote zu verstehen, bestimmte Kleidung und Zeichen religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse im Unternehmen zu tragen. Das Unternehmen verbietet also seinen Beschäftigten, bestimmte Kleidung, Schmuck, Accessoires etc., die das Bekenntnis zu einer bestimmten Religion oder Weltanschauung beinhalten, zu tragen (z. B. Kopftuch, Kreuzkette). Die Verbote beruhen in der Regel auf dem Interesse des Unternehmens, nach außen ein Image der religiösen und weltanschaulichen Neutralität abzugeben.
Mediale Aufmerksamkeit erlangen Neutralitätsordnungen meist im Zusammenhang mit der Frage zum Tragen eines religiösen Kopftuchs am Arbeitsplatz.
Arbeitsrecht
1 Pflicht zur Neutralität
Sofern bereits eine Pflicht für Unternehmen zur Neutralität bestünde, würde sich die Frage nach der Wirksamkeit einer Neutralitätsordnung erübrigen.
Allerdings ist nur der Staat durch das Grundgesetz zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität verpflichtet. Der Staat darf sich nicht mit einer religiösen oder weltanschaulichen Position identifizieren, um andersdenkende Bürger nicht auszuschließen. Dem Staat ist es also verboten, in der geistigen Auseinandersetzung zwischen religiös-weltanschaulichen Positionen Stellung zu nehmen und sich mit einer von ihnen zu identifizieren und sie sich für sein Handeln zu eigen zu machen.
Demgegenüber sind Privatrechtssubjekte wie Unternehmen nicht einer Neutralitätspflicht unmittelbar unterworfen. Allerdings haben sie die Religions- und Weltanschauungsfreiheit ihrer Beschäftigten bei der Ausübung des Direktionsrechts zu berücksichtigen und dürfen niemanden wegen seiner Religion oder Weltanschauung benachteiligen (s. Regelungen des AGG). In diesen Grenzen besteht – anders als beim Staat – also keine Pflicht zur Neutralität.
2 Wunsch nach Neutralität
Von der unternehmerischen Freiheit umfasst ist ebenfalls das Recht eines Arbeitgebers, eine allgemeine Neutralitätspolitik in seinem Unternehmen zu verfolgen. Es gibt jedoch gewisse Anforderungen bzw. bestimmte Voraussetzungen, unter denen Unternehmen diese Neutralitätspolitik verfolgen können.
2.1 Kundenwünsche als Anlass
Softwaredesignerin mit Kopftuch
Die X-GmbH bietet ihren Kunden Beratungsleistungen im Bereich Digital Transformation an und beschäftigt Arbeitnehmerin A als Softwaredesignerin, die gläubige Muslimin ist und bei der Arbeit ein Kopftuch trägt. Im Rahmen ihrer Tätigkeit hat A immer wieder Kundenkontakt. Im Anschluss an einen Einsatz beim Kunden teilt der Kunde K der X-GmbH mit, dass er zukünftig von Mitarbeitern ohne Kopftuch betreut werden möchte.
Kann die X-GmbH die Kundenbeschwerde als Anlass für die Einführung einer Neutralitätsordnung im Unternehmen nehmen?
Allein der Kundenwunsch des K reicht hier nicht aus.
Rein subjektive Erwägungen des Arbeitgebers wie der Wille des Arbeitgebers nach Neutralität oder Kundenwünsche reichen zur Einführung einer Neutralitätsordnung nicht aus, sondern das Nichttragen religiöser oder weltanschaulicher Zeichen muss objektiv von der Art der betreffenden Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung vorgegeben sein. Insbesondere dürfen einer Neutralitätsordnung keine diskriminierenden Forderungen von Kunden zugrunde liegen.
Softwareentwicklerin mit Kopftuch
Im o. g. Beispielsfall ist nicht verständlich, weshalb A bei Ausübung ihrer Tätigkeit nicht ein religiöses Symbol tragen können sollte, da die Beratungsleistung vollkommen unbeeinflusst von der Religion erbracht werden kann. Die X-GmbH erbringt Beratungsleistungen im Bereich Digital Transformation, sodass nicht erkennbar ist, dass und inwieweit religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen eines Mitarbeiters irgendeinen – positiven oder negativen – Einfluss auf die Beratungsleistungen haben könnten.
2.2 Wirkliches Bedürfnis des Unternehmens
Vielmehr bedarf es eines wirklichen Bedürfnisses des Arbeitgebers. Ein wirkliches Bedürfnis kann in objektivberechtigten Kundenerwartungen bestehen, die ihrerseits aber nicht diskriminierend sein dürfen, also z. B. das Recht der Eltern, die Erziehung ihrer Kinder entsprechend ihrer eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung sicherzustellen. Zudem muss der Arbeitgeber nachweisen, dass ohne Einführung einer Neutralitätsordnung seine unternehmerische Freiheit beeinträchtigt würde, da er andernfalls mit Nachteilen zu rechnen hätte.
Unklar ist, in welchen Fällen ein solches wirkliches Bedürfnis besteht und wie ein Arbeitgeber dieses in der Praxis nachweisen kann.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass eine abstrakte Gefahr eines Nachteils nicht ausreichend ist, sondern es muss eine konkrete Gefahr oder Beeinträchtigung vorliegen (z. B. in Form von Spannungen, Störungen von Kundenbeziehungen oder wirtscha...